Wirtschaft

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Stand: April 2011

Grundlinien der Wirtschaftspolitik

Das marktwirtschaftlich geprägte Großbritannien setzt sich in der EU nachdrücklich für Liberalisierung und Deregulierung ein. Sozialstaatliche Elemente sind am deutlichsten sichtbar im Gesundheitswesen, das in staatlicher Regie geführt wird („National Health Service“, NHS).

Die 13-jährige Regierungszeit von Labour war durch Investitionen in den Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen (NHS, Bildungs- und Erziehungswesen, Verkehrsinfrastruktur) bestimmt. Die seit Mai 2010 amtierende Regierung aus Konservativen und Liberaldemokraten räumt der Reduzierung des Haushaltsdefizits oberste Priorität ein und hat erhebliche Kürzungen (durchschnittlich 19 Prozent bis zum Ende der Legislaturperiode 2015) angekündigt. Schulen, Gesundheitswesen und entwicklungspolitische Zusammenarbeit bleiben von Kürzungen verschont, wichtige Infrastrukturprojekte werden wegen ihrer wachstumsfördernden Wirkung fortgesetzt.

London ist der wichtigste Finanzplatz in Europa und neben New York der wichtigste weltweit. Alle größeren Banken, Versicherungen, Unternehmensberatungen, Wirtschaftsprüfungsfirmen sowie internationale Rechtsanwaltskanzleien sind vertreten.

Auch in Hochtechnologiebranchen wie Telekommunikation, Informationstechnik, Biotechnologie, Pharma- und Chemieindustrie sowie beim Fahrzeugbau, in der Rüstungstechnologie und in der Elektrotechnik hat das Land eine gute internationale Wettbewerbsposition.


Aktuelle Wirtschaftslage

Die Finanzkrise hat sich nachhaltig negativ auf die Entwicklung von Wirtschaft und öffentlichen Haushalten in Großbritannien ausgewirkt.

2009 stürzte die Wirtschaftsleistung um 4,9 Prozent ab. Im Jahr 2010 wurde ein moderates Wachstum von ca. 1,3 Prozent erreicht, für das laufende Jahr werden ca. 1,7 Prozent prognostiziert.

Das Haushaltsdefizit wird im Haushaltjahr für 2011/12 voraussichtlich immer noch bei ca. 8 Prozent des BIP liegen, nachdem zwei Jahre zuvor ein Rekordminus von ca. 11 Prozent zu verzeichnen war. Die Staatsverschuldung wird trotz eines massiven Sparprogramms bis zum Haushaltsjahr 2013/14 voraussichtlich auf ca. 87 Prozent des BIP steigen, nachdem sie 2007/08 noch bei ca. 43 Prozent gelegen hatte.

Der Leitzinssatz der Bank of England steht seit März 2009 auf dem historischen Tiefstand von 0,5 Prozent. Mit einem Ankaufprogramm im Volumen von 200 Milliarden Pfund, vor allem für britische Staatsanleihen („Quantitative Easing“), soll ferner das langfristige Zinsniveau tendenziell gedrückt, die Vermögenspreise erhöht und die Wirtschaftsaktivität stimuliert werden. Das Programm pausiert derzeit. Die Inflationsrate lag im Februar 2011 bei 4,4 Prozent, bei einem Inflationsziel der Zentralbank von 2 Prozent.


Außenwirtschaft

Die britische Außenwirtschaft weist seit Jahrzehnten ein Defizit im Güterhandel auf, welches auch durch Überschüsse in der Dienstleistungsbilanz nicht vollständig ausgeglichen wird. 2010 betrug das Leistungsbilanzdefizit 36,2 Milliarden Pfund, 2,5 Prozent des BIP. Der britische Anteil am Weltwarenexport sank von 5,3 Prozent 1994 auf 3,1 Prozent 2009. Seit 2005 ist Großbritannien Netto-Importeur von Erdöl und Erdölprodukten.


Finanzplatz London

London bleibt auch in der Krise Europas größtes Finanzzentrum mit etwas mehr als 310.000 Beschäftigten. Im Vergleich zu den Finanzplätzen New York oder Tokio, die ihre Bedeutung aus ihren starken inländischen Volkswirtschaften ziehen und vorrangig den einheimischen Markt bedienen, kann London mit einer globalen Ausrichtung und einer breiten Palette verschiedenster Finanzdienstleister aufwarten. Der Erfolg Londons beruhte zumindest bis zur Finanzkrise auf dem liberalen regulatorischen Rahmen und einer für Finanzdienstleister insgesamt günstigen Infrastruktur.

Der Finanzsektor hat in Großbritannien mit einem Wertschöpfungsanteil von ca. 10 Prozent eine im internationalen Vergleich große volkswirtschaftliche Bedeutung. Angesichts dessen wurden Großbritannien und vor allem der Finanzplatz London von der globalen Finanzkrise besonders schwer getroffen. Seit Herbst 2007 sind Hypothekenbanken und Bausparkassen verstaatlicht, die Großbanken RBS und Lloyds Banking Group teilverstaatlicht worden, unter immensem Einsatz staatlicher Mittel. 

Als Konsequenz aus im Zuge der Finanzkrise zu Tage getretenen regulatorischen Fehlentwicklungen wird die Bank of England nach Regierungsplänen künftig für die gesamte (makro- und mikroprudenzielle) Aufsicht des Finanzsektors zuständig sein. Die bisherige unabhängige Aufsichtsbehörde FSA soll in die Bank of England eingegliedert werden. Für Verbraucherschutz und Marktaufsicht soll eine neue Behörde geschaffen werden. Die Regierung hat ferner eine unabhängige Bankenkommission eingerichtet, die v. a. Möglichkeiten der Trennung von Retail- und Investmentbanking zur Reduzierung des systemischen Risikos und die Wettbewerbssituation im britischen Bankensektor untersuchen soll.


Arbeit und Soziales 

Der britische Wohlfahrtsstaat ist ein Universalsystem. Er deckt die gesamte Bevölkerung ab (statt nur die Gruppe der versicherten Arbeitnehmer), er finanziert seine Leistungen überwiegend durch Steuergelder (statt über Einkommensbeiträge), seine Auszahlungen erfolgen in einheitlichen, oft geringen Pauschalleistungen (statt auf Grundlage des vorherigen Verdienstes).

Der NHS ist staatlich organisiert und finanziert über die Steuern eine für alle Bürgerinnen und Bürger kostenlose Gesundheitsversorgung. Allerdings verzeichnet der NHS, trotz deutlicher Budget-Steigerungen in den vergangenen Jahren, weiterhin spürbare Versorgungsengpässe.

Die Arbeitslosigkeit stieg bis Januar 2011 auf ca. 2,53 Millionen Menschen, die höchste Zahl seit 1994. Im Februar 2011 erhielten rund 1,45 Millionen Menschen Arbeitslosengeld. Die Leistungen sind im Vergleich zu Deutschland recht gering (60 Pfund die Woche plus Miete ab Tag eins der Arbeitslosigkeit). Die Arbeitslosenquote (ILO-Standard) lag in den drei Monaten bis Ende Januar 2011 bei 8,0 Prozent.

Kernelemente der Arbeitsmarktpolitik waren bislang die Reform der staatlichen Arbeitsverwaltung und ihre Zusammenlegung mit der Sozialverwaltung, Ausbau der Unterstützung bei der Arbeitssuche bei Beibehaltung eines geringen Arbeitslosengeldes, die Einführung eines Mindestlohns, Arbeitsanreize durch Steuergutschriften für Geringverdienende sowie jüngst Maßnahmen zur Aktivierung bislang Inaktiver im Erwerbsalter, wie etwa Empfänger von Erwerbsunfähigkeitsrente und Alleinerziehende. Die seit Mai 2010 amtierende Regierung plant die Zusammenfassung der meisten Sozialleistungen zu einer einheitlichen (Universal Credit) und hat erhebliche Kürzungen im Sozialetat angekündigt.

Armut ist in Großbritannien seit Jahrzehnten ein großes Problem. So leben gegenwärtig rund 4 Millionen Kinder (nach Abzug der Wohnkosten) in Armut. Das sind 500.000 weniger als bei Amtsantritt der Labour-Regierung 1997. Doch das Ziel, die Zahl bis 2010 zu halbieren, wurde deutlich verfehlt. Die Zahl der Rentner, die unterhalb der Armutsgrenze leben, konnte durch die Einführung einer Mindestsicherung von 2,9 Millionen (1997) auf rund 2 Millionen verringert werden. Im Mittelpunkt steht nun das Bemühen, Menschen mit geringem Einkommen zu eigener Vorsorge zu aktivieren und dabei auch Arbeitgeber und Staat zu beteiligen.


Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz

Die Behörde für Lebensmittelstandards (Food Standards Agency – FSA) führt ihre „eat well“ Kampagne zur Verringerung des Verzehrs von Fett und Salz fort, um insbesondere die hohe Rate an Herz- und Kreislauferkrankungen zu verringern.

Mit dem Anstieg der Weltbevölkerung und der erforderlichen Mehrproduktion von Lebensmitteln gewinnt Ernährungssicherung (Bekämpfung des Hungers in der Welt) in der politischen Diskussion zunehmend an Bedeutung. Auch vor diesem Hintergrund fordert das Landwirtschaftsministerium mit seiner Kampagne Food 2030 zu hoher landwirtschaftlicher Produktion auf.

Der Verbraucherschutz, insbesondere bei Finanzdienstleistungen, steht weiter im Vordergrund. Aufklärung und Informationen über Beratungsstellen, Internet und eine landesweite Telefonhotline sollen den Verbraucher in die Lage versetzen, Finanzentscheidungen eigenverantwortlich zu treffen. Aber auch die bei Finanzdienstleistern beschäftigten Berater sollen besser geschult werden, damit sie auf die Bedürfnisse der Kunden besser eingehen können.


Verkehrspolitik

Trotz des erfolgreichen Abschlusses von Großprojekten wie Terminal 5 am Flughafen Heathrow oder dem Eurostar-Bahnhof St. Pancras bleiben im Verkehrsbereich deutliche Kapazitätsengpässe. Diese sollen durch die im Bau befindliche West-Ost-Bahntrasse durch London (Crossrail, Fertigstellung für 2017 avisiert), und den Bau neuer Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecken gemildert werden, die von den aktuellen Sparmaßnahmen kaum betroffen sind. Der angekündigte Ausbau des Flughafens Heathrow um eine dritte Start- und Landebahn sowie ein sechstes Terminal wird von der neuen Regierung nicht weiterverfolgt. Die marktbeherrschende Stellung des Flughafenbetreibers BAA wurde mit dem Verkauf des Flughafens Gatwick gebrochen.


Umweltpolitik

Großbritannien beansprucht eine globale Führungsrolle in einer integrierten Klima- und Energiepolitik, die unter dem Primat der CO2-Reduzierung den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft vorbereiten soll. So sollen beispielsweise Kohlekraftwerke nur noch genehmigt werden, wenn sie mit einer Pilotanlage für CO2-Abscheidung (CCS) ausgestattet sind. Großbritannien verfügt zudem über ein nationales Klimagesetz, das die Reduzierung von Treibhausgasen um 34 Prozent bis 2020 und um 80 Prozent bis 2050 (jeweils gegenüber 1990) vorschreibt. Zur Erreichung dieser ambitionierten Ziele hat sich die Regierung im Rahmen der EU verpflichtet, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 von derzeit etwa 2 Prozent auf 15 Prozent zu steigern. Dies soll insbesondere durch Offshore-Windkraft, aber auch durch Biomasse sowie Gezeiten-, Wellen- und Meeresströmungs-Wasserkraft erreicht werden. Neben den erneuerbaren Energien soll auch die Atomkraft ausgebaut werden, allerdings ohne staatliche Subventionen. Großbritannien unterstützt den Ansatz einer nachhaltigen Versorgungssicherheit.

Hinweis

Dieser Text stellt eine Basisinformation dar. Er wird regelmäßig aktualisiert. Eine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben kann nicht übernommen werden. 

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