Regierungserklärung durch Bundesminister Westerwelle vor dem Deutschen Bundestag zur aktuellen Entwicklung in Libyen (UN-Resolution)
Regierungserklärung durch Bundesminister Westerwelle vor dem Deutschen Bundestag zur aktuellen Entwicklung in Libyen (UN-Resolution)
18.03.2011
-es gilt das gesprochene Wort!-
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen!
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat heute Nacht nach einer intensiven Beratung eine weitere Resolution zur Situation in Libyen verabschiedet. Deutschland hat sich bei der Abstimmung über diese Resolution enthalten, genauso wie Brasilien, Indien, China und Russland. Zehn Staaten haben für die Resolution gestimmt, darunter die Vereinigten Staaten von Amerika und die drei Mitglieder der Europäischen Union, die dem Sicherheitsrat derzeit angehören.
Ich will Ihnen vorab sagen: Diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen. Ihr ist ein schwieriger Abwägungsprozess vorausgegangen. Wir haben am Mittwoch hier eine ausführliche, sehr konstruktive Debatte geführt, und wir haben trotz mancher Unterschiedlichkeit und mancher Kontroverse in der Innenpolitik über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg alle eine gemeinsame Haltung: Wir verurteilen die Verbrechen des Diktators Gaddafi. Mit diesem Mann kann nicht mehr zusammengearbeitet werden. Er muss gehen. Er spricht nicht mehr für das libysche Volk.
Ich denke, es ist klar, wo nicht nur die Regierung, sondern wir alle gemeinsam stehen – nachdem ich mir alle Redebeiträge am Mittwoch angehört habe, bin ich der
festen Überzeugung, dass ich dies ausnahmsweise für das ganze Haus sagen darf -: Wir stehen gegen diesen Diktator. Wir stehen auf der Seite des internationalen Rechts. Wir stehen an der Seite von Menschen, die für ihre Freiheit wo immer auf der Welt eintreten. Wir stehen an der Seite derjenigen, die wegen ihres Eintretens für demokratische Prinzipien unterdrückt, gequält, gefoltert oder gemordet werden. Wir sind als Demokratie eine Wertegemeinschaft, und deswegen treten wir auch weltweit für freiheitliche und demokratische Werte ein.
Davon zu trennen ist die Frage einer militärischen Intervention und der deutschen Beteiligung daran. Wir unterstützen ausdrücklich die Elemente der Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates, durch die die Sanktionen gegen das Gaddafi-Regime verschärft werden. Wir Deutsche selbst haben in New York die Vorschläge für noch umfassendere Wirtschafts- und Finanzsanktionen eingebracht und auch vorangetrieben. Deutschland hat sich als eines der ersten Länder in Brüssel und übrigens auch in New York für eine eindeutige Haltung gegenüber dem Diktator Gaddafi ausgesprochen, für eine Isolierung des Systems Gaddafi, und für Sanktionen gegen sein Regime haben wir uns ebenfalls in Brüssel und auch in New York sehr frühzeitig stark gemacht.
Die Alternative zu einem Militäreinsatz ist nicht Tatenlosigkeit, ist nicht Zusehen, sondern ist, den Druck zu erhöhen, Sanktionen zu beschließen und Sanktionen zu
verschärfen. Es geht auch darum, diese Sanktionen insoweit auszuweiten, als dass sie umfassend die Finanz- und Wirtschaftsfragen berühren. Mit den Sanktionen ist
nämlich ein klares Ziel verbunden: Wir müssen verhindern, dass weiterhin frisches Geld in die Hände dieses Diktators gelangen kann, Geld, mit dem er dann wiederum
seine Söldnertruppen bezahlen kann, um das eigene Volk zu unterdrücken, um diesen schrecklichen Krieg gegen das eigene Volk fortzuführen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Oberst Gaddafi führt einen Krieg gegen das eigene Volk. Er hat jede Legitimation verwirkt.
Dieser Diktator muss gehen. Aber er muss für seine Verbrechen auch zur Rechenschaft gezogen werden.
Deswegen war es richtig, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eindeutig die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofes in diesem Zusammenhang
unterstrichen hat.
Es ist das ausdrückliche Ziel der Bundesregierung, den demokratischen Aufbruch in Nordafrika und der arabischen Welt nach Kräften zu unterstützen. Wir werden auch
künftig in der Europäischen Union und auch in den Vereinten Nationen dafür arbeiten, diesen Aufbruch politisch, wirtschaftlich, finanziell und humanitär zu fördern
und ihm zum Erfolg zu verhelfen.
Dabei gibt es Entwicklungen, die uns erfreuen: in Marokko, die Jasmin-Revolution in Tunesien, die Millionen Menschen in Ägypten, die für ihre Freiheit auf dem Tahrir- Platz gekämpft haben und die erfolgreich waren. In einigen Ländern gibt es leider aber auch furchtbare Rückschläge: in Libyen – der Anlass dieser Regierungserklärung. Darüber hinaus möchte ich an einem solchen Tag daran erinnern: Auch die Menschen in Bahrain haben das Recht, für ihre Freiheit und für ihre Demonstrations- und Meinungsfreiheit einzutreten.
Ich habe diese Haltung auch gegenüber meinen Gesprächspartnern in den Golfstaaten klar zum Ausdruck gebracht. Wir wollen einen nationalen Dialog. Wir wollen eine nationale Lösung. Aus unserer Sicht muss die Lösung im Lande durch Dialog gefunden werden und nicht durch das Ausland oder durch ausländische Truppen.
Wir sind in Sorge im Hinblick auf die Unterdrückung der Opposition im Iran. Auch wenn darüber im Augenblick nicht jeden Tag etwas zu lesen ist, so wissen wir doch
alle, dass gerade die Oppositionskräfte im Iran unverändert unsere volle Aufmerksamkeit und auch unsere Solidarität verdient haben. Wir wollen sie auch an einem solchen Tage nicht vergessen, an dem wir alle natürlich über Libyen reden.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich denke natürlich auch an Jemen, ein Land, das uns seit längerem große Sorgen macht. Schon vor einem Jahr haben wir
Präsident Salih dazu aufgerufen und aufgefordert, den Ausgleich und den Dialog zu suchen. Er hat sich anders entschieden. Er hat auf die Kraft des Militärs gesetzt. Die
Zeit ist verstrichen. Wir sehen heute, vor welcher dramatischen Situation Jemen steht.
Auch wenn im Augenblick in Europa der Fokus der Aufmerksamkeit nicht dort liegt, muss in diesem Zusammenhang noch einmal an die Elfenbeinküste erinnert werden.
Es ist leider so, auch wenn es jedem mitfühlenden Menschen das Herz bricht.
Es gibt so viele Freiheitsbewegungen, die von Despoten und Diktatoren unterdrückt werden. Ich kann nicht verhehlen, es gibt Augenblicke, da spürt man auch als
Demokrat, als Mensch, der sich den Menschen zuwendet, ein Gefühl der Ohnmacht. Das kann niemand ignorieren. Das kann auch niemand leugnen.
Wir sind nicht in der Lage, überall auf der Welt die Unterdrückung zu beseitigen. Wir sind aber in der Lage, überall in der Welt klar unsere Stimme zu erheben, damit
diejenigen, die unterdrückt werden, wissen: Sie sind nicht alleine, wir stehen an ihrer Seite.
Ich sage das deshalb, weil es natürlich notwendig ist, auch die Folgen der Entscheidung, die gestern Nacht getroffen worden ist und die uns alle hier im
Deutschen Bundestag befasst und beschäftigt, für andere Länder zu berücksichtigen, für die Auswirkungen im gesamten Norden Afrikas und darüber hinaus auch in der
arabischen Welt.
Die Sicherheitsresolution enthält auch Bestimmungen über die Einrichtung einer Flugverbotszone, aber auch vor allen Dingen eines darüber hinausgehenden Einsatzes militärischer Gewalt. Es geht darum, dass durch diese Resolution eine militärische Gewalt, ein militärischer Einsatz durch Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen mehrheitlich legitimiert wurde. Die Entscheidung über den Einsatz militärischer Gewalt, über den Einsatz auch des Lebens unserer Soldatinnen und Soldaten ist die wohl schwierigste Entscheidung, vor die die Politik gestellt werden kann. Das gilt nicht nur für die Regierung, das gilt auch für jeden Abgeordneten hier im Hause. Denn jeder Auslandseinsatz unserer Bundeswehr müsste von diesem Hohen Hause mandatiert werden. Wir haben eine Parlamentsarmee und keine Regierungsarmee. Deswegen bin ich sicher, dass sich jeder Abgeordnete dieselben Fragen stellt und auch dieselben schwierigen Abwägungen vornimmt. Wir sind alle verantwortlich bei solchen Fragen, nicht nur die Regierung, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Den möglichen Nutzen und die Risiken eines militärischen Einsatzes im Falle Libyens haben wir in den vergangenen Tagen in zahllosen Gesprächen in vielen nationalen und internationalen Gremien diskutiert und abgewogen. Es gibt keinen sogenannten chirurgischen Eingriff. Jeder Militäreinsatz wird auch zivile Opfer fordern. Das wissen wir aus leidvoller Erfahrung. Wenn wir abwägen, wie wir uns international verhalten und ob wir uns und wo wir uns beteiligen, dann muss in diese humanitäre Abwägung immer auch mit einbezogen werden, dass es Opfer gibt, auch zivile Opfer gibt. Ich weiß, dass wir das in der Frage des Irak- oder des Afghanistan- Einsatzes oft genug besprochen haben. Ich muss deswegen darum bitten und darf daran erinnern, dass wir die Lehren aus der jüngeren Geschichte, auch aus jüngeren Militäreinsätzen, immer mit berücksichtigen müssen, wenn wir heute vor Entscheidungen stehen.
Wir haben Respekt und wir haben Verständnis für diejenigen unserer Partner im Sicherheitsrat, in der Europäischen Union und auch in der Arabischen Liga, die nach Abwägung aller Argumente zu einem anderen Ergebnis gekommen sind als wir. Wir verstehen diejenigen, die sich aus ehrenwerten Motiven für ein internationales militärisches Eingreifen in Libyen ausgesprochen haben. Wir verstehen die Verzweiflung vieler Menschen in der Region angesichts der Entwicklungen in Libyen in den letzten Tagen. Die Bundesregierung ist aber angesichts sowohl außenpolitisch als auch militärisch erheblicher Gefahren und Risiken bei der Abwägung im Sicherheitsrat zu einem anderen Ergebnis gekommen. Deswegen konnten wir diesem Teil der Resolution und damit der Resolution im Ganzen nicht zustimmen. Wir werden uns nicht mit deutschen Soldaten an einem solchen Militärkampfeinsatz in Libyen beteiligen.
Für diese Entscheidung habe ich bei unseren Partnern Verständnis und auch Respekt gefunden. Internationales Engagement der Deutschen wird geschätzt. Es ist nicht so, als wäre Deutschland nicht bereit, international Verantwortung zu übernehmen. Deutschland trägt Verantwortung, auch zum Beispiel, indem 7 000 deutsche Soldaten bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr eingesetzt werden. Wir danken den Frauen und Männern der Bundeswehr, die weltweit für unsere Freiheit und für unsere Sicherheit eintreten. Auch an diesem Tage, gerade an diesem Tage vor dem Hintergrund der schrecklichen Nachrichten aus Afghanistan, möchte ich diesen Dank an unsere Bundeswehr noch einmal zum Ausdruck bringen.
Wir werden darüber beraten, meine Damen und Herren, ob wir unser Engagement entsprechend konzentrieren. Das bedeutet, dass die weiteren Fragen, die jetzt auf der Tagesordnung stehen, zum Beispiel die Frage möglicher AWACS-Einsätze, in der NATO besprochen werden müssen. Ich will Ihnen das frühzeitig und ausdrücklich sagen, weil ich nicht den Eindruck erwecken möchte, in der Regierungserklärung sei das, was viele von Ihnen natürlich weiter denken und mit erörtern, kein Thema. Wir – der Bundesverteidigungsminister und der Bundesaußenminister – werden selber gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen im Kabinett, die damit befasst sind, diese Gespräche in der NATO suchen. Sie sind notwendig, weil hierzu heute noch keine Entscheidungen zu treffen sind und auch in Bezug auf die Sicherheit noch keine Entscheidungen getroffen werden können.
Lassen Sie mich aber hinzufügen, dass ich mir im Interesse unserer Partner und auch im Interesse der Menschen in Libyen und der ganzen arabischen Welt wünschen würde, dass sich unsere Sorgen und Befürchtungen hinsichtlich der Folgen eines Militäreinsatzes nicht bewahrheiten. Unsere Position ist eindeutig gegenüber dem Gaddafi-Regime, sie bleibt unverändert: Der Diktator muss die Gewalt gegen sein eigenes Volk sofort beenden. Er muss gehen, und er muss für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden.
Wir haben es uns nicht leichtgemacht. Ich weiß, dass es niemandem von Ihnen leichtfällt, sich hierüber eine Meinung zu bilden. Aber für uns ist klar: In der Abwägung der Argumente sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass wir uns mit deutschen Soldaten an einem solchen Kampfeinsatz in Libyen nicht beteiligen werden. Deswegen hat sich die Bundesregierung, hat sich Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen enthalten. Ich bitte um Ihre Unterstützung für diese Position und danke für Ihre Aufmerksamkeit.