Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen
-
-
-
-
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen
Die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen fördert die mit dem EU-Binnenmarkt verbundene Freizügigkeit von Personen und Unternehmen. Sie zielt in erster Linie auf die Vereinheitlichung gerichtlicher Verfahren und die gegenseitige Anerkennung zivilgerichtlicher Entscheidungen und die Verbesserung des Rechtsschutzes. Innerhalb der Europäischen Union sollen grenzüberschreitende Verfahren zügig durchgeführt werden. Die Bürger und Unternehmen sollen nicht durch langwierige Vollstreckungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten daran gehindert werden, von ihren Rechten Gebrauch zu machen, dabei aber auch vor Rechtsmissbrauch geschützt werden. Mehrere Rechtsakte dienen diesem Ziel. So sorgt etwa die Verordnung zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen im Zivil- und Handelsrecht für automatische Anerkennung und Vollstreckung unstreitiger Ansprüche ohne zwischengeschaltetes formales Anerkennungsverfahren. 2007 wurde ein Europäisches Verfahren für grenzüberschreitende Forderungen bis 2000 € eingeführt. Die sog. Small-Claims-Verordnung gilt seit dem 01.01.2009 in allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks. Ein im Rahmen dieses Verfahrens ergangenes Urteil wird in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt. Mit der Ende 2008 in Kraft getretenen Verordnung zum europäischen Mahnverfahren hat der europäische Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, bei grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen schneller und leichter Zahlungsansprüche durchzusetzen.
Verordnungen über die gerichtliche Zuständigkeit
Eine Vereinfachung der Vollstreckung sowie eine klare Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit konnten bereits 2000 durch Verordnungen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („Brüssel I“-Verordnung), über Insolvenzverfahren sowie über die Zuständigkeit für Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten („Brüssel II“-Verordnung) erreicht werden.
Wegen des begrenzten Anwendungsbereiches der letztgenannten Verordnung (Anwendung nur auf gemeinsame Kinder von Ehegatten sowie nur bei Vorliegen einer Verbindung zu einer Ehesache) gilt seit 2005 ergänzend die „Brüssel IIa“-Verordnung für sämtliche EU-internen grenzüberschreitenden Verfahren zur elterlichen Verantwortung und ist ebenfalls anwendbar für Fälle von Kindesentführungen.
Harmonisierung von Zivilrechtsnormen
Neben den bereits bestehenden Verordnungen über die gerichtliche Zuständigkeit gibt es mittlerweile auf europäischer Ebene auch Regelungen zum Internationalen Privatrecht. Harmonisierungsbestrebungen in diesem Bereich betreffen das vertragliche und außervertragliche Schuldrecht, das Familien- und das Erbrecht. Dem Bürger soll sich in einem sicheren Rechtsrahmen bewegen können, in dem vorhersehbar ist, nicht nur, welches Gericht zuständig ist, sondern auch, welches Recht der Mitgliedstaaten zur Anwendung kommen wird.
Die sog. Rom I-Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht gilt ab dem 17.12.2009. Sie aktualisiert das völkerrechtliche Übereinkommen von Rom vom 19.06.1980, welches die Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse bereits vereinheitlicht hat, und wandelt es in ein Gemeinschaftsinstrument um.
Die sog. Rom II-Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht gilt seit dem 11.1.2009 in allen EU-Staaten mit Ausnahme Dänemarks. Sie schafft einheitliche Vorschriften in Europa für Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung und aus anderen gesetzlichen Schuldverhältnissen (z.B. bei der Haftung für Verkehrsunfälle oder für fehlerhafte Produkte). Für Wettbewerbsverstöße sieht die neue Verordnung z. B. den Grundsatz der Anwendung eines einzigen Rechts vor und beschränkt so die Gefahr des „Forum-shoppings“, d.h. die Möglichkeit, den Ort der Klage frei zu wählen. Sie ersetzt die bisherigen deutschen Kollisionsregelungen für außervertragliche Schuldverhältnisse aus dem Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB).
Im Bereich des Familienrechts wird derzeit die sog. ROM III-Verordnung verhandelt, die das anzuwendende Recht und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen regeln soll.
Im Erbrecht hat die Bundesrepublik Deutschland die Schaffung eines einheitlichen europäischen Erbscheins vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde im Verordnungsentwurf der EU-Kommission zum Internationalen Erbrecht aufgegriffen. Der im Okt. 2009 vorgelegte Vorschlag soll einheitlich in der gesamten EU geltende Regeln über das Kollisionsrecht, die internationale Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Erbrecht sowie den europäischen Erbschein einführen. Er wird noch in den Ratsgremien verhandelt.
Einzelne Gesetzgebungsakte zur Harmonisierung ausgewählter Sachrechtsbereiche runden die Bestrebungen zur Vergrößerung des Vertrauens in die Rechtssysteme der anderen Mitgliedstaaten ab. Beispiele sind zahlreiche Regelungen zum Verbraucherschutz wie Richtlinien zum Verbrauchsgüterkauf, Regelungen zu Verbraucherkreditverträgen, zum Pauschalreiserecht oder zu Fernabsatzverträgen.
Europäisches Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen
Zur Erleichterung der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in Zivilsachen sowie zur Einrichtung eines Informationssystems für die Öffentlichkeit hat die EU im Mai 2001 ein Europäisches Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen eingerichtet, das dem Vorbild des Europäischen Justiziellen Netzes für Strafsachen nachgebildet ist.
Stand 09.12.2010