Interview: „Die langfristige Entwicklung der Region im Blick behalten“ (Mitteldeutsche Zeitung)
Bundesaußenminister Guido Westerwelle in der Mitteldeutschen Zeitung zur Situation in Ägypten (erschienen am 07.02.2011)
Herr Außenminister, noch vor wenigen Monaten haben Sie den ägyptischen Präsidenten Mubarak als Mann großer Weisheit gelobt, der die Zukunft fest im Blick habe. Gilt das heute immer noch?
Ägypten hat im Nahost-Friedensprozess eine konstruktive Position eingenommen. Ägypten war das erste arabische Land, das einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen hat. Das gehört zur geschichtlichen Wahrheit dazu.
Gilt Ihr Urteil denn auch noch für die möglicherweise historischen Ereignisse der letzten Tage?
Die Ägypter wollen den demokratischen Wandel, und sie wollen ihn jetzt. Wir stehen als Demokraten dabei auf der Seite der Demokratie. Darauf habe ich auch meine Gesprächspartner in der ägyptischen Regierung in den letzten Tagen immer wieder hingewiesen.
Es gibt die Idee, Mubarak bei uns aufzunehmen. Könnte das ein Beitrag Deutschlands zum friedlichen Übergang sein?
Ich beteilige mich grundsätzlich nicht an derartigen Spekulationen.
Kommt gerade uns Deutschen nicht automatisch der Vergleich zur friedlichen Revolution in der DDR und Osteuropa 1989 in den Sinn? Gebildete Menschen der Mittelschicht gehen auf die Straße, bislang als Garanten der Stabilität geschätzte Politiker werden hinweg gefegt.
Wenn es die Geschichte gut mit uns meint, werden wir Zeugen einer Globalisierung der Aufklärung. Die Demokratie muss gewinnen, nicht die Radikalen.
Sehen Sie die Parallele zu 1989 nicht?
Die Entwicklung ist schwer vorhersehbar, zumal es große Unterschiede zwischen den Ländern der Region gibt. Algerien ist ein anderer Fall als Tunesien. Dort sieht es anders aus als in Ägypten oder gar in Libyen. Die arabische Welt bietet ein höchst differenziertes Bild. Im Libanon müssen wir zurzeit sogar eine unerfreuliche Stärkung der Hisbollah zur Kenntnis nehmen.
Stichwort Hisbollah. Fürchten Sie eine Gefährdung Israels, wenn die Region sich destabilisiert?
Eine werte- und interessengeleitete deutsche Außenpolitik darf nicht nach der Schlagzeile des nächsten Tages schielen. Sie muss die langfristige Entwicklung der Region im Blick behalten. Wir müssen klar nach innen, aber klug nach außen sein. Deshalb haben wir deutliche Signale an die Opposition wie auch an die Regierenden ausgesandt. Die Entwicklung in Ägypten wird in Israel mit großer Aufmerksamkeit und mit Sorge verfolgt. Die Bundesregierung ist verpflichtet und entschlossen, dazu beizutragen, dass Israels Existenzrecht nicht in Frage gestellt wird.
Es gibt Kritik an der deutschen Botschaft in Kairo, sie habe Landsleuten nicht ausreichend geholfen. War sie nicht genügend vorbereitet?
Ich bin dankbar für die unermüdliche Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Botschaft, die vielen Menschen geholfen haben, aus dem Land zu kommen und die ihre Arbeit selbst unter großer Gefahr für Leib und Leben fortsetzen.
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Interview: Hartmut Augustin und Thomas Kröter. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Mitteldeutschen Zeitung.