Interview: Bundesminister Westerwelle zur Situation in Libyen (Deutschlandfunk)
Gesendet im Deutschlandfunk am 25.02.2011
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Bundespräsident Christian Wulff hat sich gestern zur Entwicklung in Libyen geäußert. Wulff nannte Libyens Machthaber Gaddafi einen „Staatsterroristen“. Der Tyrann Gaddafi mache den Eindruck eines Psychopathen, so der Bundespräsident gestern Abend wörtlich in Berlin. Doch von internationaler Kritik zeigt sich Gaddafi unbeeindruckt. Die bürgerkriegsähnlichen Kämpfe in Libyen gehen weiter.
Mitgehört hat am Telefon Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Guten Morgen, Herr Westerwelle
Guten Morgen, Frau Engels.
Greifen wir den letzten Teil dieses Berichts direkt auf. Da ist von den Ausländern die Rede, die noch im Land Libyen sind. Es sollen rund 160 Deutsche sein. Die Bundesmarine entsendet drei Kriegsschiffe vor die Küste, um Bundesbürger zu evakuieren. Was ist jetzt geplant?
Wir haben ja bisher schon mehrere Hundert Deutsche und andere europäische Staatsangehörige aus Libyen evakuieren können. Es sind jetzt noch etwa 160 Deutsche im Lande selbst, 100 Deutsche davon in teilweise größeren Gruppen im Lande verteilt. Der Rest, die übrigen Staatsangehörigen unseres Landes befinden sich in Tripolis. Und wir haben natürlich alle Maßnahmen eingesetzt, um auch unsere Staatsangehörigen auszufliegen. Einige hatten sich entschieden, zunächst einmal da zu bleiben. Ich weiß nicht, ob dort ein Sinneswandel jetzt eingetreten ist. Aber ich möchte noch einmal klarstellen: Auch der Einsatz von Marine, oder auch von unserer Transall dient ausschließlich dem Zweck, unsere Staatsangehörigen außer Landes zu bringen.
Das heißt, geschossen wird auf keinen Fall?
Ich sagte, ausschließlich dem Zweck, unsere Staatsangehörigen außer Landes zu bringen, und ich möchte auch nicht darüber spekulieren, wie konkret der Einsatz vor Ort aussieht. Jedermann sieht doch, dass es eine außerordentlich gefährliche Lage ist. Dieses Regime schlägt wie wahnwitzig um sich, es bekämpft das eigene Volk mit einem Krieg, es bedroht das Volk mit einem andauernden Bürgerkrieg, und deswegen habe ich entschieden, dass wir erneut eine Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen beantragen werden. Ich denke, Sanktionen sind in Anbetracht dieser erheblichen Menschenrechtsverletzungen, dieser erheblichen Gewaltanwendungen unvermeidbar, und dazu zählen zum Beispiel Einreisesperren für die Herrscherfamilie, dazu zählt aber auch eine Vermögenseinfrierung.
Welche weiteren Sanktionen, denken Sie, muss die UNO, muss aber vielleicht auch die EU angehen?
Die beiden Dinge, die ich gerade genannt habe, sind jetzt zunächst einmal vorrangig. Ansonsten geht es natürlich darum, dass wir eine geschlossene Haltung in der internationalen Staatengemeinschaft herbeiführen. Mir war die Europäische Union am vergangenen Montag zu zögerlich, deswegen habe ich ja am Dienstag mit anderen Kollegen in der Europäischen Union entschieden, dass wir vorangehen, was das Thema Sanktionen angeht. Wir haben mittlerweile aber auch feststellen müssen, dass auch in der Europäischen Union mehr und mehr doch die Erkenntnis um sich greift, dass dieses Verhalten in gar keiner Weise akzeptabel ist. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte sich bereits in dieser Woche mit einer Dringlichkeitssitzung mit dieser Frage beschäftigt und übrigens eine sehr substanzielle klare Sprache auch gefunden. Und bei meiner Reise gestern in Kairo hatte ich auch ein Gespräch mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga und finde es auch sehr begrüßenswert, dass sowohl die Afrikanische, als auch die Arabische Liga eine sehr klare, eindeutige Sprache gegenüber der Herrschaftsfamilie in Libyen gefunden haben.
Herr Westerwelle, schauen wir auf die EU, denn konkrete Maßnahmen für Sanktionen hat die EU noch nicht eingeleitet. Muss ein Ultimatum gestellt werden?
Ich glaube, es geht nicht mehr darum, dass man Zeitlimits setzt. Es geht darum, dass jetzt gehandelt wird. Deswegen habe ich entschieden, dass Sanktionen jetzt auch vorbereitet werden. Das bedeutet, dass wir jetzt unmittelbar auch in Gespräche eintreten mit unseren internationalen Verbündeten, mit unseren Partnern auch in der Europäischen Union. Sanktionen sind in Anbetracht dieser massiven Gewalt unvermeidbar und dazu zählen die Einreisesperren, dazu zählt eine Vermögenseinfrierung für Auslandsvermögen der Diktatorenfamilie, und das ist auch von großer Bedeutung, weil jeder, der sich so verhält, jeder, der das eigene Volk so mit Krieg und Mord und Todschlag bekämpft, muss wissen, dass er sich nicht, wenn er scheitert, irgendwo im Ausland zurückziehen kann und ein gemütliches Alter pflegen kann, sondern das wird natürlich auch dazu führen, dass die internationale Gemeinschaft solche Menschen bannt.
Was halten Sie von weitergehenden Sanktionen, beispielsweise den Stopp von Öllieferungen?
Ich denke, es ist zu früh, über wirtschaftliche Fragen jetzt zu reden. Jetzt geht es erst einmal um die politischen Sanktionen. Es geht erst mal darum, dass wir eine gemeinsame Haltung auch international herbeiführen. Deswegen wird heute auch der Menschenrechtsrat in Genf zusammentreten. Wir werden darüber hinaus selbiges noch mal am Montag in Genf machen, denn wir wollen ja die Herrscherfamilie treffen und nicht das Volk. Wir wollen ja nicht dem Volk die Lebensbedingungen verschlechtern.
Aber das Öl kommt der Herrscherfamilie meist zugute. Muss man da nicht auch die zögerlichen Partner wie beispielsweise Italien überstimmen?
Es geht jetzt erst mal um Schritt für Schritt. Die politischen Sanktionen habe ich Ihnen gerade genannt. Aber ich sage es noch einmal: Es geht um gezielte politische Sanktionen, um diese Diktatorenfamilie zu treffen, um auch übrigens dafür zu sorgen, dass die moderaten Kräfte in Libyen sich lossagen von dieser Herrscherfamilie und ebenfalls sich an die Seite des Wandels stellen, und es geht nicht darum, dass wir das Volk treffen. Wir sind mit dem libyschen Volk in einer Partnerschaft, wir betrachten das libysche Volk als einen Nachbarn und als einen Partner Europas, und wir wollen nicht das Volk treffen, wir wollen nicht der Jugend mehr Armut bringen, sondern durch Demokratie soll die Jugend selber die Chance zu mehr Wohlstand haben.
Herr Westerwelle, Sie haben es selbst angesprochen: Europa war Ihnen im Fall Libyen zu langsam. Wie dramatisch ist es, dass Europa jetzt im Fall Libyen nach außen wieder einmal so zaudernd wird? Auch die Außenbeauftragte Ashton bietet ja ein Beispiel.
Ich habe den Eindruck, dass doch alle in Europa mittlerweile erkannt haben, dass Zögerlichkeit unangemessen ist. Wir Deutsche haben ja unverzüglich Anfang der Woche schon unsere glasklare Haltung öffentlich gemacht, gemeinsam übrigens auch mit anderen Kollegen, zum Beispiel mit Frankreich, und das wird auch nicht ohne Wirkung auf die anderen Kollegen geblieben sein. Ich werde heute Morgen mit meinem italienischen Amtskollegen Franco Frattini zusammentreffen, den ich sehr schätze, von dem ich weiß, dass er ein mitfühlender Mann ist, der genau auch weiß, dass Außenpolitik Europas interessengeleitet sein muss, aber auch und vor allen Dingen werteorientiert. Und wir als europäische Demokraten stehen an der Seite des demokratischen Wandels.
Ihr luxemburgischer Kollege, Herr Westerwelle, nämlich Jean Asselborn, hat vorgestern hier im Deutschlandfunk von einem Völkermord gesprochen, der in Libyen geschehe. Müsste man mit einer solchen Aussage nicht auch eine militärische Intervention in Libyen ins Auge fassen?
Ich möchte solche Spekulationen nicht anstellen. Jetzt geht es erst einmal darum, dass wir unseren Beitrag dazu leisten, als internationale Staatengemeinschaft, um auch dem Wandel in Libyen eine Chance zu geben, so wie es uns ja auch mit einer gut balancierten Politik in Tunesien und in Ägypten gelungen ist. Allerdings muss man feststellen, dass in Libyen ganz augenscheinlich sich die Herrscherfamilie entschieden hat, gewissermaßen bis zur letzten Patrone das eigene Volk zu bekämpfen. Hier ist ganz offen ja nicht nur vom Diktator selbst, sondern auch von seinem Sohn Saif al Islam Gaddafi mit einem Bürgerkrieg das eigene Volk bedroht worden. Andererseits sehen wir, dass im Osten des Landes, also in Richtung ägyptischer Landesgrenze, mittlerweile die Macht der Herrschaftsfamilie gebrochen ist, und wir müssen abwarten, wie dieser Prozess jetzt natürlich im Lande weitergeht.
Herr Westerwelle, noch zu einem anderen Thema, denn Sie sind gerade aus Ägypten zurückgekehrt, haben Gespräche mit der amtierenden Regierung und Oppositionellen geführt. Glauben Sie nun an die echte Bereitschaft des Armeerates, Ägypten zu einer echten Demokratie umzuformen?
Natürlich müssen den Worten Taten folgen, aber bisher hat die militärische Führung in Ägypten, die ja die Macht (und zwar auf Wunsch des Volkes) übernommen hat, alles richtig getan und auch einen klaren Fahrplan aufgestellt. Das heißt, dass innerhalb des nächsten halben Jahres der Verfassungsprozess zu einem guten Ergebnis geführt wird, anschließend auch Wahlen stattfinden, Wahlen für die Präsidentschaft, Wahlen auch fürs Parlament stattfinden können. Und wir machen unser Angebot für den Aufbau und für die Unterstützung der Zivilgesellschaft, und wenn man, so wie ich gestern, auf dem Tahir-Platz gewesen ist, der ja für die Ägypter eine ähnliche Bedeutung hat wie das Brandenburger Tor für uns in der Zeit der deutschen Einheit, und wenn man dann hört, dass Sprechchöre von Hunderten von Menschen angestimmt werden, es lebe Ägypten, es lebe Deutschland, dann merkt man auch, dass wir Deutsche eine große Verantwortung tragen, aber eben auch vor allen Dingen in unserer Politik ganz augenscheinlich vom ägyptischen Volk mitgetragen wurden und auch getragen werden.
Haben Sie denn Anhaltspunkte dafür, dass es noch Teile des alten Regimes in Ägypten gibt, die stark genug wären, die Transformation zu stoppen?
Jedenfalls ist es unser Ziel, dass dieser Wandel nachhaltig ist und dass er unumkehrbar ist. Wir wollen ja am Ende dieser Wegstrecke des demokratischen Wandels eine Demokratie. Natürlich muss Ägypten und muss das ägyptische Volk selbst entscheiden, wer es führt, wer die Meinungsführer in Ägypten sind, übrigens auch für den Umbruchprozess, aber es ist doch augenscheinlich auch in der richtigen Richtung unterwegs. Ich kann nicht darüber spekulieren, wie die Lage in einigen Monaten ist. Bisher jedenfalls habe ich den Eindruck, dass doch die Freiheitsbewegung weiter auf einem Vormarsch ist, und wir haben ja auch ein großes Interesse daran, als Europäer, als Deutsche, dass zum Beispiel in Tunesien, dass zum Beispiel in Ägypten diese freiheitliche Revolution auch Früchte trägt für die Menschen. Die Menschen sind ja für Demokratie auf die Straße gegangen, aber eben auch für Zukunftschancen, für Arbeitsplätze, für Jobs, damit sie aus ihrer Armut herauskommen können, bei dem riesigen Potenzial, das Ägypten oder Tunesien hat.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle in den „Informationen am Morgen“. Vielen Dank für das Gespräch.
Ich danke Ihnen.
Interview: Silvia Engels. Übernahme mir freundlicher Genehmigung des Deutschlandfunks