Interview: Außenminister Westerwelle zu den Umbrüchen in Nordafrika und im Nahen Osten (Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung)
Frage: Herr Westerwelle, glauben Sie an die Domino-Theorie, daran also, dass ein Staat nach dem anderen im Maghreb und im Nahen Osten demokratisch wird?
Länder sind keine Dominosteine. Dominosteine sind sich mit Ausnahme der weißen Punkte sehr ähnlich. Aber die Länder sind höchst unterschiedlich. Es gibt aber in der Region eine Gemeinsamkeit, und das ist der Funke der Freiheit. Er steckt gerade viele junge Menschen an, für ihre Zukunft auf die Straße zu gehen.
Frage: Müsste der Westen diese Bewegung jetzt nicht mehr unterstützen, als in Tunesien und Ägypten ?
Nach der Jasmin-Revolution, die in Tunesien begann, haben wir zwei Koordinaten für unsere Politik. Wir stehen als Demokraten fest an der Seite von Demokraten, weil wir der Überzeugung sind, dass Menschenrechte universell gelten. Andererseits darf aber nie der Eindruck entstehen, als seien die Demonstrationen eine Angelegenheit des Westens, der versucht, die Völker zu bevormunden.
Frage: Klingt recht theoretisch.
Ich habe vor einer Woche bei meinem Besuch in Tunesien konkrete Angebote für eine Transformationspartnerschaft gemacht. Die Reaktion war sehr positiv. Und ich werde in Kürze nach Ägypten reisen und unsere Hilfe auch dort noch einmal anbieten.
Frage: Aber was hilft es den Demonstranten in Algerien oder Bahrain zu hören, der Westen stehe an ihrer Seite, wenn sonst nichts zu ihrer Unterstützung geschieht?
Die geschlossene Haltung der internationalen Staatengemeinschaft ist ein hohes Gut. Das haben wir in Tunesien und Ägypten gesehen. Ich bin sehr besorgt über die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Bahrain und anderen Staaten der Region und appelliere nachdrücklich an die Regierungen dieser Länder, keine Gewalt gegen Demonstranten anzuwenden und das Recht auf freie Meinungsäußerung aktiv zu schützen. Im übrigen wird die Freiheitsbewegung in der Region am Besten dadurch gestärkt, dass dort, wo sie begann, für die Menschen Früchte einer demokratischen Entwicklung sichtbar werden.
Frage: Welche Früchte können Sie denn nach Tunesien und Ägypten tragen?
Unterstützung beim Aufbau der Zivilgesellschaft, beim Aufbau einer unabhängigen Justiz, Bildungsangebote, Jugend- und Studentenaustausch, Medientraining, damit eine vielfältige Medienlandschaft entsteht. Das Wichtigste aber ist und bleibt, bei der wirtschaftlichen Entwicklung zu helfen. Die Menschen gehen nicht nur für Demokratie auf die Straße, sondern auch für Jobs und Zukunftschancen. Das ist auch die Bedingung dafür, dass die Menschen im Lande bleiben und nicht nach Europa drängen. Dazu gehört, dass wir unsere Märkte stärker auch für Produkte aus Tunesien öffnen.
Frage: Haben sie Sorge, dass Tunesien durch die Umbrüche in Ägypten und den Unruhen in anderen Ländern ins Abseits gerät?
Ich will nicht, dass Tunesien, wo die ganze Jasmin-Revolution begonnen hat, vergessen wird, nur weil die Kameras jetzt in anderen Ländern stehen. Tunesien könnte der Beweis dafür sein, dass Demokratie mehr Zukunft für die Menschen bringt, dass entgegen allen Behauptungen Islam und Demokratie sehr wohl zusammenpassen und dass entgegen mancher früherer Fehleinschätzung nicht Unfreiheit Stabilität bringt, sondern die Freiheit der Menschen.
Frage: Wenn es richtig ist, dass wir einen historischen Umbruch in der Region erleben, müssten die Europäer dann nicht auch in wirklich großem Maßstab helfen, also etwa in Form eines Marshallplanes?
Das Wort ist falsch, die Idee ist richtig. In Tunesien gibt es ja gute Infrastruktur und eine gebildete Mittelschicht, die der Motor der Revolution gewesen ist. In Ägypten ist die Bewegung dann schon wesentlich breiter getragen worden. Ich habe Arbeitsgruppen für die Unterstützung der beiden Länder eingerichtet. Diese Hilfe liegt in unserem ureigenen Interesse.
Frage: Sie meinen, wegen der Flüchtlinge?
Wir wollen und wir können nicht jeden Flüchtling aus Nordafrika aufnehmen. Gerade in Tunesien werden die Menschen dringend für den demokratischen Neuanfang und Aufbau gebraucht. Es handelt sich auch nicht um politische Flüchtlinge, sondern um Menschen, die von kriminellen Geschäftemachern unter Lebensgefahr über das Meer geschafft werden. Man muss jetzt handeln, damit nicht am Ende neue Autokraten an die Macht kommen oder religiöse Extremisten.
Frage: In Ägypten gelten die Muslimbrüder jetzt als Gesprächspartner. Verändert das auch den Umgang mit der palästinensischen Hamas?
Die Hamas ist so lange kein Gesprächspartner, solange sie sich nicht zum friedlichen Dialog mit Israel bekennt und stattdessen weiterhin Terroranschläge gegen Bürger Israels unterstützt. Für uns ist die Sicherheit Israels Staatsräson. Deshalb erwarten wir auch von Ägypten, dass der Wandel dem inneren und dem äußeren Frieden verpflichtet bleibt.
Frage: Was werden Sie Ägypten bei Ihrem Besuch konkret anbieten?
Es sind ähnliche Angebote wie für Tunesien. Und ich kann mir zum Beispiel sehr gut vorstellen, dass wir eine internationale Zukunftskonferenz für Ägypten in Ägypten unterstützen, wie das jetzt auch in Tunesien geplant ist. Aber wir können all das nur anbieten. Letztlich müssen die Ägypter selbst entscheiden, welches Angebot aus ihrer Sicht sinnvoll ist.
Das Gespräch führten Damir Fras und Holger Schmale