Innenpolitik
Innenpolitik
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Stand: April 2011
Verfassung / Staatliche Ordnung
Großbritannien ist eine parlamentarische Erbmonarchie mit einer dem Parlament verantwortlichen Kabinettsregierung. Es gibt keine schriftlich kodifizierte Verfassung. Die Krone hat überwiegend formale Befugnisse, während der Regierungschef eine starke Stellung in Kabinett und Partei hat. Staatsoberhaupt ist seit 1952 Königin Elizabeth II, Regierungschef seit Mai 2010 Premierminister David Cameron (Chef der Conservative Party); Außenminister ist William Hague.
Das Kabinett umfasst rund 20 Mitglieder; unter Einschluss von Staatsministern und Parlamentarischen Staatssekretären besteht die Regierung aus rund 100 Politikern, die alle Mitglieder des Parlaments sein müssen. Die jeweilige Oppositionspartei bildet traditionell ein „Schattenkabinett“.
Großbritannien wird zentralistisch regiert und verwaltet, allerdings sind im Zuge der „Devolution“ (Dezentralisierung) in unterschiedlichem Maße Kompetenzen an Schottland, Wales und an Nord-Irland übertragen worden. England verfügt über keine eigene Exekutive und Legislative. Seit Mai 2007 stellt die Scottish National Party (SNP) eine Minderheitsregierung in Edinburgh. Politisches Hauptziel der SNP ist die Unabhängigkeit Schottlands. In Wales regiert seit 2007 eine Koalition aus Labour und der Regionalpartei Plaid Cymru. Ihr Ziel ist es, die im Vergleich zu Schottland sehr beschränkten Gesetzgebungskompetenzen der walisischen parlamentarischen Versammlung zu erweitern.
Zu den Überseegebieten („British Overseas Territories“) gehören die folgenden Gebiete: Anguilla, Bermuda, das britische Antarktis-Territorium, die britischen Territorien im Indischen Ozean, die britischen Jungferninseln, die Kaimaninseln, die Falklandinseln, Gibraltar, Montserrat, Pitcairn, St. Helena und abhängige Gebiete (Ascension, Tristan da Cunha), Südgeorgien und die südlichen Sandwichinseln, die unter britischer Staatshoheit stehenden Militärstützpunkte bei Akrotiri und Dhekelia (Zypern) sowie die Turks- und Caicosinseln.
Diese zum Commonwealth gehörenden Territorien sind nicht Teil des Vereinigten Königreichs, aber der britischen Krone unterstellt. Sie verfügen über eine eigene Legislative, Exekutive und Judikative sowie über ein eigenes Haushalts- und Steuersystem.
Die Kanalinseln (darunter Jersey und Guernsey) und die Isle of Man gehören als Kronbesitzungen („Crown Dependencies“) zur Krone, sind aber weder Teil des Vereinigten Königreichs noch gehören sie zu dessen Überseeterritorien.
Parlament, Wahlen und Parteien
Das nach dem Mehrheitswahlsystem gewählte Unterhaus (House of Commons) mit 650 Mitgliedern ist Zentrum der politischen Macht. Das Oberhaus (House of Lords) hat derzeit rund 740 Mitglieder; außer 91 Erbsitzen (Adel) und 25 Bischöfen sind dies ehemalige Politiker, Wirtschaftsvertreter, Künstler, Wissenschaftler, die auf Vorschlag der Regierung auf Lebenszeit („Life Peers“) ernannt werden.
Das House of Lords hat ein aufschiebendes Vetorecht gegen bestimmte Gesetzesvorhaben. 2009 gingen die richterlichen Befugnisse der „Law Lords“ des Oberhauses auf den neu geschaffenen „Supreme Court“ über. Bei den Unterhauswahlen vom 6. Mai 2010 erhielt die Conservative Party 36,1 Prozent der Stimmen und 307 Sitze, die Labour Party kam auf 29 Prozent und 258 Sitze, die Liberal Democrats errangen 23 Prozent der Stimmen und 57 Mandate. Weitere 28 Abgeordnete vertreten vor allem Regionalparteien. Keine Partei erreichte die absolute Mehrheit im Unterhaus. Dies führte zur Bildung einer Koalition aus Conservative Party und Liberal Democrats und damit erstmals zur Bildung einer Koalitionsregierung seit 1945, die von dem am 11.5.2010 ernannten Premierminister David Cameron (Conservatives) geführt wird. Sein Stellvertreter ist Nick Clegg, Parteiführer der Liberal Democrats.
Die Koalitionsvereinbarung sieht vor, dass feste Legislaturperioden von 5 Jahren eingeführt werden und der Premierminister künftig das Parlament nicht mehr eigenmächtig auflösen lassen kann. Regulär würden die nächsten Unterhauswahlen somit im Mai 2015 stattfinden. Wahlen zu Stadt- und Grafschaftsräten finden, soweit erforderlich, regelmäßig am ersten Donnerstag im Mai jedes Jahres statt. Im Mai 2011 werden auch die Parlamente in Edinburgh, Cardiff und Belfast neu gewählt.
Das konfessionell gespaltene Nordirland (letzter Zensus 2001: 56 Prozent Protestanten, 41 Prozent Katholiken) wurde wegen der 1969 ausgebrochenen Unruhen (terroristische Anschläge der katholischen IRA und paramilitärischer protestantischer Organisationen) von 1972 bis 2007 mit kurzen Unterbrechungen von London aus direkt regiert. In der Folge des sog. Karfreitagsabkommens von 1998 haben am 7. März 2007 in Nordirland Neuwahlen stattgefunden. Die unionistische (protestantische) DUP und die republikanische (katholische) Sinn Féin gingen daraus als Sieger hervor. Am 8. Mai 2007 wurde eine Regierung gebildet, die sich auf beide Parteien stützt und seit Mai 2008 von Peter Robinson (DUP) als First Minister geleitet wird.
Seit 2009 kam es wieder häufiger zu Anschlägen extremistischer Splittergruppen, die von allen politischen Parteien – auch Sinn Féin – verurteilt wurden und den Friedensprozess nicht erschüttern konnten. Im April 2010 wurde im Rahmen der Devolution auch die Polizeigewalt von London auf die Regierung in Belfast übertragen.
Schwerpunkte der Innenpolitik
Die Koalitionsregierung aus Konservativen und Liberaldemokraten hat ihr Regierungsprogramm in einer Koalitionsvereinbarung niedergelegt. Vorrang hat die Reduzierung des Haushaltsdefizits, das unter der vorangegangenen Regierung durch Maßnahmen zur Bewältigung der weltweiten Finanzkrise und Programme zur Förderung der Wirtschaft eine Rekordhöhe erreicht hatte. Die staatliche Daseinsvorsorge – der „nanny state“ – soll zugunsten größerer Eigenverantwortung der Bürger zurückgefahren werden, zum Beispiel im Sozial- und Schulwesen.
Sozialleistungen wie das Wohngeld werden gekürzt, die Obergrenze für Studiengebühren ist angehoben worden. Private Schulen (Elterninitiativen) werden gefördert. Energie-, Umwelt- und Klimapolitik behalten ihre hohe Priorität. Einwanderungskontrollen sollen strikter gehandhabt, die Einwanderung aus Nicht-EU-Ländern zahlenmäßig begrenzt werden. Zu den politischen Reformvorhaben gehören neben der Einführung einer festen Legislaturperiode von 5 Jahren ein Referendum über eine insbesondere von den Liberaldemokraten geforderte Wahlrechtsreform am 5. Mai 2011.
Dabei soll das Mehrheitswahlrecht modifiziert werden, indem der Wähler Kandidaten nach seiner Präferenz auflisten kann, so dass eine Stimme für einen abgeschlagenen Kandidaten nicht verloren ist, sondern dem von ihm nächstgelisteten Kandidaten zugute kommt (sog. „Alternative Vote“). Das Unterhaus soll auf 600 Abgeordnete verkleinert, das Oberhaus in eine überwiegend gewählte, nach dem Stimmenanteil der Parteien besetzte Kammer umgewandelt werden. Auf allen politischen Ebenen ist mehr Bürgerbeteiligung durch Bürgerbegehren, Referenda und Direktwahl von Mandatsträgern vorgesehen.
Die Übertragung von Befugnissen auf Regionalparlamente in Schottland, Wales und Nordirland („Devolution“) soll beibehalten und im Einzelfall ausgebaut werden. Für England bleibt weiterhin das Westminster-Parlament die einzige gesetzgebende Körperschaft; die Frage der Mitwirkung von Abgeordneten aus den anderen Regionen bei nur England betreffenden Gesetzen soll geprüft werden. Die Einführung von Personalausweisen (schon bisher nur auf freiwilligen Antrag) und die Einführung des damit verbundenen Ausweisregisters werden rückgängig gemacht; auf biometrische Pässe wird verzichtet, der Umfang von DNA-Datenbanken reduziert und die Kameraüberwachung im öffentlichen Raum (zwei Millionen Kameras) ebenso wie Internet- und E-Mail-Kontrolle zurückgefahren.
Hinweis