Bundesaußenminister Westerwelle im Interview mit dem Luxemburger Wort
Erschienen am 18.03.2011
Sind Sie auch nach dem libyschen Vormarsch Richtung Bengasi skeptisch gegenüber einem Flugverbot?
Deutschland wird sich an einer militärischen Intervention in Libyen nicht beteiligen. Wir sind der Überzeugung, dass die Alternative zu einem militärischen Eingreifen nicht Tatenlosigkeit ist, sondern politischer Druck und gezielte Finanz- und Wirtschaftssanktionen. Diesbezüglich war Deutschland führend in Europa und im Weltsicherheitsrat.
Ist überhaupt keine Beteiligung denkbar, auch nicht etwa in Überwachungsflugzeugen.
Ich gehe nicht in Details. Wir haben die Sorge, dass die Auswirkungen auf die Freiheitsbewegungen in der arabischen Welt kaum absehbar sind. Wir wollen, dass die Freiheitsbewegungen gestärkt werden. Die militärische Lösung ist risikoreich. Was ist, wenn mit Luftschlägen der Vormarsch nicht zu stoppen ist? Sind dann Bodentruppen der nächste Schritt? Ich hoffe, dass die Länder, die militärisch Maßnahmen in Betracht ziehen, auch gemeinsam mit Deutschland bei den Sanktionen energisch vorgehen.
Welche Länder meinen Sie konkret?
Da würde der Brite sagen: To whom it may concern.
Welchen Sanktionen wollen Sie verstärken und warum haben Sie das bisher nicht getan?
Die Bundesregierung hat sich, als noch in Europa diskutiert wurde, wie man sich gegenüber dem Diktator Gaddafi aufstellt, an die Spitze der Bewegung für Sanktionen gestellt. Wir haben die Listung der Zentralbank durchgesetzt, damit das Geld Gaddafis nicht international eingesetzt werden kann. Noch auf die Tagesordnung muss die Frage von Einschränkungen bei den Energie- und Ölfirmen. Es ist zudem notwendig, dass alle noch ausstehenden Rechnungen auf ein Anderkonto eingezahlt werden und nicht nach Libyen weitergeleitet werden, damit die Geldströme versiegen.
Aber mit Sanktionen war Gaddafi bislang auch nicht zu stoppen. Er lobt sogar Deutschland für seine Zurückhaltung…
Ich glaube die politische Absicht solcher vergifteter Reden ist durchsichtig und muss nicht weiter kommentiert werden.
Wird Deutschland nicht isoliert, wenn die USA, Frankreich und Großbritannien sich doch zu militärischem Handeln durchringen?
Wir nehmen unsere internationale Verantwortung wahr, nicht nur in Afghanistan, aber besonders dort.
Wieso gibt es gerade jetzt so viele demokratische Bewegungen im arabischen Raum?
Diese autokratischen Systeme konnte vieles ignorieren, eines aber nicht, die demographische Entwicklung einer Jugend, die nach eigener Freiheit, aber auch nach neuen Lebenschancen ruft. Offensichtlich ist die Zeit reif, so wie sie vor 20 Jahren in Europa reif war.
Kann es sich die deutsche Regierung leisten, nach Ablauf des Moratoriums auch nur eines der acht abgeschalteten AKWs wieder ans Netz gehen zu lassen?
Ich spekuliere heute nicht darüber, welche Konsequenzen nach dem Auslaufen des Moratoriums gezogen werden müssen. Es dient ja dazu, die Lehren aus der Katastrophe zu ziehen. Ein Beispiel: In Fukushima war der Ausfall der Kühlsysteme ein großes Problem, weil infolge des Tsunamis die Notstromsysteme ausgefallen sind. Was nutzt also eine Dreifachabsicherung eines Kühlsystems, bei der alle drei Notstromaggregate im selben Keller stehen und bei Überschwemmung alle gleichzeitig ausfallen?
Kann man die Atomfrage in Deutschland nur auf die technische Frage reduzieren?
Wir haben die sichersten Kraftwerke der Welt und auch die beste Kerntechnologie in der Welt. Und trotzdem kommen wir nach dem, was in Japan geschehen ist, ins Nachdenken. Das ist eine praktische Frage der Sicherheitsstandards, aber auch eine Grundsatzdebatte über die Risikoanalyse.
In Ihrer Partei gibt es auch die Auffassung, dass das Moratorium nicht notwendig sei…
Es gab in der Fraktion einen Beschluss mit einer Gegenstimme und drei Enthaltungen.
Hätte die Regierung ohne Landtagswahlen anders reagiert?
Diese Unterstellung sagt eher etwas aus über die, die sei erhoben haben und die Art, wie sie Politik betreiben. Wir hätten auch ohne Landtagswahlen genauso reagiert. Jede Bundesregierung hätte so handeln müssen. Wir haben so gehandelt, weil schnell gehandelt werden musste. Auch Russland, die USA, Indien und China haben Maßnahmen ergriffen.
Was sagen Sie zu bayerischen Forderungen, das AKW Temelin still zu legen?
Ich verstehe, dass in ganz Europa die Menschen große Sorgen bewegen. Wir werden gemeinsam in Europa die Antworten für unsere Sicherheit finden.
Erhält der Deutsche Bundestag das auch von Ihrer Fraktion geforderte Veto-Recht beim Euro-Rettungsschirm?
Ich bin froh, dass es in Europa gelungen ist zwei Ziele zu erreichen: Solidarität und Eigenverantwortlichkeit. Das vom Euro-Sondergipfel in der vergangenen Woche beschlossene Paket bedeutet eine Stärkung des Euro und eine politische Stärkung der Europäischen Union. Außerdem packt es die schwierigen Fragen wie Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Länder und Rückkehr zu solidem Haushalten an. Bei einer Vergemeinschaftung von Schulden gibt es keine Disziplin zu Hause. Die weiteren Fragen der parlamentarischen Mitwirkung sind von größter Bedeutung. Das wollen und unterstützen wir.
Ein Mitwirkungsrecht des Bundestages ist ein Gebot der Verfassung.
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Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Luxemburger Wortes.