Beziehungen zwischen Afghanistan und Deutschland
Beziehungen zwischen Afghanistan und Deutschland
Stand: März 2011
Politische Beziehungen
Die deutsch-afghanischen Beziehungen können auf eine lange Geschichte zurückblicken. Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahr 1919 arbeiten Deutschland und Afghanistan auf vielen Gebieten eng zusammen. Deutschland bietet fast 90.000 Menschen afghanischer Abstammung eine zweite Heimat – mehr als jedes andere Land Europas.
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 wurde die deutsche Botschaft im Dezember 2001 zunächst als „Deutsches Verbindungsbüro“ wiedereröffnet. Bereits im Januar 2002 überreichte der deutsche Botschafter als erster ausländischer Missionschef der neuen Übergangsregierung sein Beglaubigungsschreiben.
Die deutsche Botschaft unterhält enge Kontakte zu den Vertretern des politischen Lebens in Afghanistan und betreut Projekte der deutschen humanitären Hilfe und des Wiederaufbaus.
Afghanistans Weg zur Konsolidierung
Unmittelbar nach dem Fall des Taliban-Regimes fand Ende November/Anfang Dezember 2001 auf dem Petersberg bei Bonn auf Einladung der Bundesregierung die Afghanistan-Konferenz „UN Talks on Afghanistan“ statt. Die Gespräche endeten am 5. Dezember 2001 mit einer Einigung über die Bildung einer Interimsregierung und den Fahrplan zur Weiterentwicklung Afghanistans. Im Dezember 2002 tagten afghanische Vertreter erneut auf dem Petersberg (“Petersberg II“). Ziel war es, die Vorstellungen der afghanischen Zivilgesellschaft über die politische Zukunft Afghanistans stärker in den Prozess einzubringen.
Auf der Berliner Konferenz (31. März bis 1. April 2004) bekräftigte die internationale Gemeinschaft ihr langfristiges Engagement für Afghanistan. Die Berliner Erklärung als Abschlusskommuniqué beschreibt die Vision eines künftigen Afghanistans. Die internationale Gemeinschaft machte Zusagen von insgesamt 8,2 Mrd. USD für die Jahre 2004 bis 2006.
Vom 18.-19. Mai 2004 fand in Doha unter dem Vorsitz Deutschlands, Afghanistans und der Vereinten Nationen sowie unter der Gastgeberschaft von Katar eine Konferenz zur regionalen polizeilichen Zusammenarbeit statt (Doha I), an der die Nachbarstaaten Afghanistans und zahlreiche Geberländer teilnahmen. Thema der Konferenz war die Verbesserung der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit.
Auf der Londoner Konferenz (31. Januar bis 1. Februar 2006) wurde neben den Zusagen über Finanzmittel von zunächst 10,5 Mrd. USD bis 2010 der „Afghanistan Compact“ vorgestellt. Dieses Dokument dient als Grundlage für die Zusammenarbeit sowohl im politischen als auch im Entwicklungsbereich in Afghanistan bis 2010.
Am 12. Juni 2008 fand eine weitere internationale Konferenz zu Afghanistan statt, diesmal in Paris. Afghanistan stellte dabei seine nationale Entwicklungsstrategie für die nächsten fünf Jahre vor (Afghan National Development Strategy), die ergänzend neben den „Afghanistan Compact“ trat. Für deren Finanzierung sagte die internationale Gemeinschaft eine Summe von insgesamt etwa 20 Mrd. USD zu. Der deutsche Beitrag zum zivilen Wiederaufbau summierte sich für den Zeitraum 2002 – Dezember 2009 auf über 1,3 Mrd. Euro.
Auf der zweiten Londoner Konferenz am 28. Januar 2010 haben die internationale Gemeinschaft und die afghanische Regierung verbindliche Ziele für Fortschritte in den Bereichen Entwicklung, Regierungsführung und Sicherheit vereinbart. Langfristiges Ziel ist es, die Verantwortung für das Schicksal Afghanistans Schritt für Schritt weiter in die Hände der Afghaninnen und Afghanen zu legen.
Am 20. Juli 2010 bekräftigten die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft bei einer weiteren internationalen Konferenz in Kabul – der ersten Afghanistan-Konferenz auf afghanischem Boden – ihre Verpflichtungen und konkretisierten sie. Ein Prozess der schrittweisen Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte wurde vereinbart. Die Konferenz begrüßte zudem ein Programm der afghanischen Regierung zur Aussöhnung mit regierungsfeindlichen Kräften und zur Wiedereingliederung von Kämpfern in die Gesellschaft. Das Auswärtige Amt fördert seit 2010 den den Reintegrationsprozess mit 50 Mio Euro über 5 Jahre.
Vor diesem Hintergrund hat Deutschland die jährlichen Mittel für den zivilen Aufbau in Afghanistan von 220 Mio. Euro (2009) auf bis zu 430 Mio. Euro bis 2013 erhöht.
Im Dezember 2011 wird Deutschland in Bonn auf Bitten von Präsident Karsai zehn jahre nach der ersten Petersberg-Konferenz eine Internationale Afghanistan Konferenz ausrichten. Ziel wird sein, den politischen Prozess anzustoßen und das langfristige internationale Engagement nach 2014 festzuschreiben. Die Vorbereitung wird durch die Internationale Kontaktgruppe unter deutscher Leitung und in enger Abstimmung mit der afghanischen Regierung erfolgen.
Warum Deutschland in Afghanistan engagiert ist, lesen Sie hier:
Deutsche Streitkräfte in Afghanistan
Die ISAF (International Security Assistance Force) hat seit Dezember 2001 das Mandat der Vereinten Nationen, die Staatsorgane Afghanistans bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und Umgebung zu unterstützen. Am 22. Dezember 2001 stimmte der Deutsche Bundestag erstmals der Entsendung deutscher Streitkräfte zur Umsetzung der Resolution 1386 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen mit großer Mehrheit zu. Im Lichte der Londoner Afghanistan Konferenz hat der Deutsche Bundestag im Februar 2010 entschieden, die Anzahl der deutschen Soldaten auf bis zu 5.000 zu erhöhen, um die afghanischen Sicherheitskräfte schneller und effizienter auszubilden. Hinzu kommt eine flexible Reserve von 350 Soldaten. Dieses Mandat wurde am 28.01.2011 für ein weiteres Jahr verlängert. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat zuletzt am 13.10.2010 das Mandat für ISAF für ein Jahr verlängert (UNSCR 1943).
Parallel zur Übernahme der Verantwortung für das ISAF-Mandat durch die NATO im August 2003 begann der Aufbau von regionalen Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction Teams, PRT). Gegenwärtig sind 27 PRTs in Afghanistan eingesetzt: 12 US-PRTs, zwei deutsche und zwei türkische PRTs und je ein PRT von Neuseeland, Kanada, Großbritannien, Niederlande, Italien, Spanien, Litauen, Norwegen, Ungarn, Schweden und Tschechien.
Die von Deutschland geführten PRTs in Kundus und Faisabad sind zivil-militärische Einrichtungen. Zentraler Auftrag ist die Stabilisierung der Region und der Wiederaufbau staatlicher, ziviler und gesellschaftlicher Strukturen. Zur Umsetzung dieses Ziels wirken – angepasst an die Besonderheiten der Region, die gesellschaftlichen und sozialen Strukturen und die Entwicklung der Sicherheitslage – Soldaten und zivile Mitarbeiter aus vier Ministerien (AA, BMI, BMVg, BMZ) ressortübergreifend zusammen. Der Auftrag des militärischen Anteils der PRTs besteht in der Unterstützung der afghanischen Behörden bei der Schaffung und Erhaltung eines sicheren Umfeldes, in dem sich die Maßnahmen der anderen Ressorts, aber auch solche der afghanischen Regierung und Zivilgesellschaft, entfalten können.
Seit Februar 2008 betreibt Deutschland in Taloqan, der Hauptstadt der Provinz Takhar, ein sogenanntes Provincial Advisory Team (PAT). Dieses PAT wird wie die PRTs durch eine gemeinsame zivil-militärische Führung nach außen vertreten. Schutz, Logistik und sanitätsdienstliche Versorgung des PAT Taloqan erfolgen durch das PRT Kundus.
Als Führungsnation für das ISAF Regionalkommando Nord stellt Deutschland in Masar-e Sharif das militärische Hauptquartier mit einem deutschen Zwei-Sterne-General an der Spitze. Das Hauptquartier dient als logistische Einsatzbasis für alle in Nord-Afghanistan eingesetzten ISAF-Kräfte, einschließlich der fünf PRTs (zwei deutsche und je ein schwedisches, norwegisches, türkisches und ungarisches PRT). Darüber hinaus unterstützt Deutschland die ISAF landesweit durch Lufttransporte.
Aktuelle Informationen zum Thema militärisches Engagement in Afghanistan finden Sie hier:
Deutsches Engagement für zivilen Wiederaufbau und humanitäre Hilfe
Der zivile Wiederaufbau steht im Mittelpunkt des deutschen Engagements in Afghanistan. Vor dem Hintergrund der Strategie einer „Übergabe in Verantwortung“ und glaubwürdiger Zusagen der afghanischen Regierung in den Bereichen Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung auf den Afghanistan-Konferenzen in London und Kabul, hat die Bundesregierung ihre zivilen Hilfszusagen auf 430,7 Mio. Euro jährlich bis voraussichtlich 2013 nahezu verdoppelt. Hinzu kommen Leistungen der entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe sowie der humanitären Hilfe, die sich 2009 auf etwa 25 Mio. Euro summierten.
Mit den erhöhten Mitteln hat das Auswärtige Amt sein politisch-ziviles Engagement in Afghanistan 2010 deutlich verstärkt. Die Projektansätze des AA sind außen- und sicherheitspolitisch motiviert und sollen schnell, gezielt und sichtbar auf akute Problemlagen Afghanistans reagieren. Prioritäten bilden die Sicherheitssektorreform (Aufbau afghanischer Polizeikräfte), Stabilisierungsprojekte im deutschen Verantwortungsbereich im Norden des Landes (u. a. Bau von Krankenhäusern, Schulen, Transportinfrastruktur), der Aufbau von Kapazitäten in Verwaltung und Justiz, Berufsbildung, Hochschulkooperation und die Unterstützung des kulturellen Wiederaufbaus. Hinzu kommt die aus außen- und sicherheitspolitischer Sicht bedeutsame Förderung der Regionalkooperation zwischen Afghanistan und Pakistan. Außerdem hat das Auswärtige Amt Mittel für das von der afghanischen Regierung initiierte Programm zur Reintegration aufgabebereiter Kämpfer bereitgestellt, die über das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen umgesetzt werden.
Neben dem Auswärtigen Amt ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit eher längerfristig angelegten Programmen in den Schwerpunktsektoren Wasser- und Energieversorgung, wirtschaftliche Entwicklung, Grundbildung und Governance aktiv.
Der regionale Fokus der deutschen Wiederaufbauarbeit liegt im Norden Afghanistans, insbesondere in den Provinzen Kundus, Balkh, Takhar, Badakhshan und Baghlan. Darüber hinaus werden jedoch gezielt auch nationale Programme der afghanischen Regierung sowie Wiederaufbauprojekte in anderen Teilen des Landes – vielfach in Kooperation mit internationalen Partnern – unterstützt (u.a. in Kandahar, Oruzgan, Herat und Kabul).
Wiederaufbau der afghanischen Polizei
Afghanistan muss in die Lage versetzt werden, selbst für die innere Sicherheit zu sorgen. Dafür ist die Schaffung einer funktionierenden afghanischen Polizei eine der wichtigsten Prioritäten der Bundesregierung, der EU und der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan. Zur Gewährleistung eines sicheren Umfelds für den Wiederaufbau ist eine funktionierende und zuverlässige afghanische Polizei unverzichtbar. Beratung, Ausbildung, Infrastruktur und Ausstattungshilfe sind dabei wichtige Bereiche der deutschen und internationalen Unterstützungsarbeit. In allen Bereichen wurde erheblich investiert und vieles erreicht. Seit Juni 2007 unterstützt auch die europäische Polizeimission „EUPOL Afghanistan“ die Polizeireform.
Näheres zum europäischen und deutschen Engagement für den Polizeiaufbau erfahren Sie auf diesen Seiten:
Kulturelle Beziehungen
Bei der Wiederaufnahme der kulturellen Beziehungen im Jahre 2002 konnte auf ein gewachsenes Netz von engagierten Deutschen und Afghanen zurückgegriffen und die traditionelle Zusammenarbeit zwischen Schulen, Universitäten und anderen Kultureinrichtungen wieder belebt werden. Mit einem jährlichen Volumen von mehreren Millionen Euro (2010: 18,9 Mio. Euro) leistet Deutschland einen wichtigen Beitrag zum kulturellen Wiederaufbau in Afghanistan. Mit diesen Mitteln werden unter anderem die bauliche und fachliche Rehabilitierung von Schulen – darunter die hoch angesehene Amani- Oberrealschule für Jungen, die Aishe-i-Durani-Oberschule für Mädchen und das Lycée Jamhuriat (Wirtschaftsgymnasium für Mädchen), sowie der akademische Wiederaufbau afghanischer Hochschulen auf der Basis deutsch-afghanischer Hochschulkooperationen gefördert. Mittlerweile gibt es in Kabul und Herat acht von Deutschland geförderte PASCH-Schulen, an denen Deutsch als Fremdsprache unterrichtet wird.
Das Goethe-Institut ist ebenso wie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) in Kabul vertreten. Das Goethe-Institut ist u.a. in der Spracharbeit und der Lehrerfortbildung tätig und engagiert sich in der kulturellen Zusammenarbeit insbesondere in den Bereichen Theater, Film und Fotographie. Dank erheblicher finanzieller deutscher Unterstützung konnten 2009 „Skateistan“ (ein sehr erfolgreich laufendes Schulprojekt mit Skateboardunterricht) und 2010 das Afghanistan National Institute of Music (ANIM) in Kabul eröffnet werden. Außerdem fördert das Auswärtige Amt die Rehabilitierung von kulturhistorischen Denkmälern in Kabul, Bamiyan und Herat und unterstützt den Wiederaufbau des afghanischen Sportwesens mit Schwerpunktförderung des Fußballsports. Der Aufbau der Presselandschaft erfolgt sowohl über die Stärkung unabhängiger Medienorgane, als auch über Unterstützung des staatlichen Rundfunks RTA (Radio Television Afghanistan).
Über die Deutsche Welle leistet das Auswärtige Amt technische Hilfe und bietet Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für Mitarbeiter des afghanischen Staatssenders.
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Hinweis