Beziehungen zu Deutschland
Beziehungen zu Deutschland
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Stand: April 2011
Deutschland und die Türkei verbinden außerordentlich vielfältige und intensive Beziehungen, die Jahrhunderte zurückreichen. Sie werden heute wesentlich bestimmt durch circa 3 Millionen in Deutschland lebende Menschen türkischer Abstammung und enge politische, kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen.
Der menschliche Faktor
Die circa 3 Millionen in Deutschland lebenden Menschen türkischer Herkunft, von denen knapp die Hälfte die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, sind ein bedeutender Faktor in den bilateralen Beziehungen. Hinzu kommt die starke Anziehungskraft der Türkei als Reise- und Urlaubsland (2010 über 4,5 Millionen Besucher aus Deutschland). Beide Faktoren tragen wesentlich zu dem Bild bei, das Deutsche und Türken voneinander haben.
Türkische Verbände und Einzelpersonen türkischer Herkunft werden eng in Initiativen der Bundesregierung wie den Integrationsgipfel und die Islamkonferenz eingebunden. Das neue Staatsangehörigkeitsgesetz von 1999 hat vielen Türken in Deutschland neue Chancen eröffnet. Das neue Zuwanderungsgesetz vom August 2007 hebt das Zuzugsalter für Ehepartner auf 18 Jahre an und verlangt einfache Deutschkenntnisse bei Familienzusammenführungen, womit Zwangsverheiratungen verhindert und die Integration der Neuankömmlinge in Deutschland erleichtert werden sollen.
Die türkischen Medien berichten breit über Deutschland, die Situation der dort lebenden türkischstämmigen Bevölkerung sowie die deutsche Haltung zu allen die Türkei betreffenden Themen. Die großen türkischen Tageszeitungen sind mit eigenen Sonderausgaben in Deutschland und Europa vertreten, zum Teil in beachtlicher Auflagenstärke. Hürriyet veröffentlicht seit Ende 2001 einen Teil ihrer Deutschlandausgabe in deutscher Sprache. Seit zehn Jahren sendet auch der Kanal „Euro D“ von Deutschland aus europaweit sein türkischsprachiges Programm. Inzwischen haben viele türkische Medien (Tageszeitungen und TV-Sender) gesonderte Ausgaben für die in Deutschland lebenden türkischsprachigen Menschen.
Der Status der in der Türkei lebenden Deutschen (nach Angaben der türkischen Regierung ca. 70.000) hat sich in den letzten Jahren weiter verbessert, ist aber noch nicht völlig befriedigend (Aufenthaltsgenehmigung, Arbeitserlaubnis, Grunderwerb u.a.).
Politische Beziehungen
Deutschland genießt in der Türkei ein traditionell hohes Ansehen. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind freundschaftlich, vielschichtig und belastbar. Auf allen Ebenen finden regelmäßig Konsultationen und Gespräche zu einer großen Bandbreite politischer und anderer Themen statt. Dies ermöglicht eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit auch in kontroversen Fragen.
Unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft wurden 1999 die Weichen für den EU-Kandidatenstatus der Türkei gestellt. Deutschland hat ein besonderes Interesse an einer Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen zur Türkei und an einer Anbindung des Landes an die Europäische Union. Die 2005 mit dem Ziel des Beitritts aufgenommenen Verhandlungen sind ein Prozess mit offenem Ende, der keinen Automatismus begründet und dessen Ausgang sich nicht im Vorhinein garantieren lässt.
Ausdruck der intensiven bilateralen Beziehungen ist auch der rege hochrangige Besuchsaustausch. Jüngste Beispiele: Im Oktober 2010 besuchte Bundespräsident Christian Wulff die Türkei. Bundeskanzlerin Merkel besuchte Ende März 2010 Ankara und Istanbul. Im Januar 2010 stattete Bundesaußenminister Westerwelle der Türkei seinen Antrittsbesuch ab und besuchte im Juli des selben Jahres Istanbul und Ankara. Bundestagspräsident Lammert nahm, ebenfalls im Januar 2010, an den Eröffnungsfeierlichkeiten zu „Istanbul – Europäische Kulturhaupstadt 2010“ teil. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Schavan, hielt sich im Februar 2010 zu Gesprächen in Ankara auf und kam anlässlich des Bundespräsidentenbesuches auch nach Istanbul. Im März 2010 besuchten der türkische Kulturminister Günay und der türkische Justizminister Ergin Berlin, der Gegenbesuch von Inneminister de Maizière fand im September 2010 statt. Auch unter den Parlamentariern beider Länder gibt es vielfältige Kontakte. Ministerpräsident Erdoğan, Außenminister Davutoğlu und der EU-Minister Bağış besuchten im Oktober 2010 Berlin und verfolgten gemeinsam mit Bundeskanzlerin Merkel das Qualifikationsfussballspiel zur Europameisterschaft zwischen Deutschland und der Türkei. Im Jahr 2011 war die Türkei Gastland der CEBIT. Aus diesem Anlaß besuchte Ministerpräsident Erdoğan Hannover und traf in diesem Rahmen auch mit Bundeskanzlerin Merkel zusammen.
Kulturaustausch und Wissenschaftsbeziehungen
Als sichtbares Zeichen der Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern wurde im September 2006 die „Ernst-Reuter-Initiative für Dialog und Verständigung zwischen den Kulturen“ (ERI) ins Leben gerufen. Die Initiative umfasst zahlreiche Projekte in den Bereichen Kunst, Kultur und Medien, Jugend, Wissenschaft und Integration. Viele Prominente aus beiden Ländern unterstützen ERI mit ihrer Erfahrung und ihrem Know-how. ERI-Leuchtturmprojekte sind insbesondere die geplante Deutsch-Türkische Universität in Istanbul, deren erster Stein während des Staatsbesuchs von Bundespräsident Wulff in der Türkei am 22. Oktober 2010 enthüllt wurde. Im November 2010 verliehen Staatsministerin Pieper und der türkische Kulturminister Günay erstmals den Deutsch-Türkischen/Türkisch-Deutschen Tarabya-Übersetzerpreis. Im Oktober 2011 soll eine Kulturakademie in Istanbul eröffnet werden, die die Vernetzung deutscher und türkischer Kulturschaffender zum Ziel hat.
In der deutsch-türkischen Hochschulzusammenarbeit wurde das Fundament in den 1930er und 1940er Jahren durch Professoren gelegt, die vor dem nationalsozialistischen Regime in die Türkei geflüchtet waren. Deutschland genießt in der Türkei einen guten Ruf als Universitäts- und Forschungsstandort. Das Interesse an universitären Partnerschaften ebenso wie an Forschungskooperation ist groß. Der Hochschulkompass der Hochschulrektoren-konferenz verzeichnet aktuell 366 Kooperationsabsprachen zwischen deutschen und türkischen Hochschulen (März 2011), mit steigender Tendenz. Acht Kooperationen werden vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) institutionell gefördert.
Die Zweigstellen des Goethe-Instituts in Ankara, Istanbul und Izmir bieten ein breites Spektrum an kulturellen Programmen und tragen so in allen Sparten zum interkulturellen Austausch bei, zunehmend auch mit Initiativen in der türkischen Provinz. Mit landesweiten Sprachkursen und Fortbildungsseminaren für türkische Deutschlehrer fördern sie Deutsch als Fremdsprache. Aufgrund der intensiven bilateralen Beziehungen ist die Türkei ein Schwerpunktland der Deutschförderung. Entsprechend wird die deutsche Sprache in der Türkei durch eine vergleichsweise starke Präsenz deutscher Mittler (Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, DAAD, Goethe-Institute), enge Kooperationen mit dem türkischen Erziehungsministerium, verschiedenen Hochschulen und lokalen Schulbehörden sowie durch eine Vielfalt von Fördermaßnahmen nachhaltig gefördert.
Das Orient-Institut Istanbul, eine eigenständige Einrichtung der Stiftung Deutscher Geisteswissenschaftlicher Institute im Ausland (DGIA), führt Forschungen zur osmanischen Geschichte und zur türkischen Sprach- und Literaturwissenschaft durch.
Das Deutsche Archäologische Institut (DAI) ist bereits seit 1929 mit einer eigenen Abteilung in Istanbul vertreten und führt Forschungsprojekte von der Urgeschichte Kleinasiens bis zur osmanischen Epoche durch.
Im Oktober 2005 wurde auf Initiative der Botschaft Ankara eine „Kulturstiftung der deutsch-türkischen Wirtschaft“ ins Leben gerufen, die sich der Verstärkung des kulturellen Austauschs widmet. Bislang wurden Ausstellungen, Theaterstücke, Konzerte sowie eine Sommerakademie gefördert und auch Sprachkursstipendien für Begabte vergeben.
2010 war Istanbul gemeinsam mit Essen/Ruhrgebiet und dem ungarischen Pécs europäische Kulturhauptstadt. Gleichzeitig feierten Istanbul und Berlin das zwanzigjährige Bestehen ihrer Städtepartnerschaft.
Wirtschaftliche Beziehungen
Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Türkei und mit einem Volumen von rund 8,5 Milliarden US-Dollar seit 1980 der größte ausländische Investor in der Türkei. Das bilaterale Handelsvolumen erreichte 2010 einen neuen Rekordwert von rund 26 Mrd. Euro. Die Zahl deutscher Unternehmen bzw. türkischer Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung ist inzwischen auf über 4.300 gestiegen. Sie reichen von der Industrieerzeugung und dem Vertrieb sämtlicher Produkte bis zu Dienstleistungsangeboten aller Art sowie der Führung von Einzel- und Großhandelsbetrieben.
Deutschland steht auch beim Fremdenverkehr in die Türkei an erster Stelle. Im Jahr 2010 besuchten nahezu 4,4 Millionen deutsche Touristen die Türkei. Im März 2010 war die Türkei Partnerland der internationalen Tourismusbörse ITB in Berlin.
Seit 1985 ist die deutsche Wirtschaft in der Türkei durch ein Delegiertenbüro des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) vertreten. Im Jahr 2004 wurde in Köln die Deutsch-Türkische Außenhandelskammer gegründet, die seit 2009 auch eine Zweigstelle in Berlin betreibt. Regelmäßige bilaterale Konsultationen erfolgen in den Bereichen wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie im Rahmen des Deutsch-Türkischen Kooperationsrates (DTKR) und des „Deutsch-türkischen Lenkungsausschusses für die Intensivierung der Zusammenarbeit im Bereich der Agrar- und Ernährungsindustrie“.
Zwischen Deutschland und der Türkei besteht bereits seit 1962 ein Investitionsschutzabkommen; das türkische Gesetz zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit trat im Juli 2001 in Kraft. Das bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen von 1985 wurde zum 01.01.2011 gekündigt, eine Neufassung steht kurz vor dem Abschluss.
Wirtschaftliche Zusammenarbeit
Im Jahr 2009 feierten Deutschland und die Türkei gemeinsam 50 Jahre bilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Was im Jahr 1959 mit der Entsendung erster deutscher Experten in die Türkei begann, entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem Erfolgsmodell der bilateralen Zusammenarbeit. In dieser Zeit wurde im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit insgesamt ein Volumen von über 4,3 Milliarden Euro als Darlehen und teilweise als Zuschüsse zur Verfügung gestellt. Im Bereich der technischen Zusammenarbeit belaufen sich die akkumulierten Zusagen auf über 285,2 Mio. Euro. Insgesamt kann die deutsch-türkische Entwicklungskooperation auf annähernd 400 verschiedene Projekte zurückblicken.
Neben der auslaufenden klassischen Entwicklungszusammenarbeit (letzte Neuzusagen 2008) tritt seit 2006 die bilaterale Kooperation im Umwelt- und Klimabereich mit Projekten, die von deutscher Seite aus dem Fonds „Internationale Klimainitiative (IKI)“ des Bundesumweltministeriums, der sich aus der Versteigerung von Zertifikaten aus dem Emissionshandel speist, finanziert werden. Das BMZ hat aber weitere punktuelle Kooperationen mit der Türkei angekündigt und will Projekte im gemeinsamen Interesse beider Länder mit innovativen und zukunftsfähigen Inhalten fördern.
Ebenfalls erweitert wird die Wirtschaftliche Zusammenarbeit durch verschiedene bilaterale Projekte im Bereich Forschung und Technologie. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat verschiedene Initiativen mit der Türkei ergriffen, u.a. eine Kooperation mit dem türkischen Rat für Wissenschaft und Technik (TÜBITAK).
Hinweis