Akademischer Wiederaufbau in Krisenregionen: Bildung für eine bessere Zukunft

Akademischer Wiederaufbau in Krisenregionen: Bildung für eine bessere Zukunft

Mit Sonderprogrammen unterstützen das Auswärtige Amt und der DAAD den akademischen Wiederaufbau in Afghanistan und im Irak. Für den Aufbruch in eine bessere Zukunft brauchen die Länder dringend gut ausgebildete Nachwuchskräfte, die in Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft Verantwortung übernehmen können. Bildung ist zugleich einer der Schlüsselfaktoren für den Aufbau demokratischer Strukturen und Stabilität. Ein Kooperationsbeispiel von vielen: Die Fakultät Raumplanung der TU Dortmund setzt sich mit großem Engagement für eine Partnerschaft mit vier irakischen Hochschulen ein.

Betreuer Hasan Sinemillioglu mit irakischen Studentinnen
© Jan Greune

Betreuer Hasan Sinemillioglu mit irakischen Studentinnen

Betreuer Hasan Sinemillioglu mit irakischen Studentinnen

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Im Irak brauchte Ahmed Sabah Al-Edresi gut drei Stunden, bis er die Universität Diyala in Baquba nahe Bagdad erreichte. Viele Checkpoints musste er passieren, strikte Sicherheitsvorkehrungen beachten. Seit Beginn des Wintersemesters fährt der 22-Jährige nur noch wenige Minuten mit der S-Bahn bis zur Technischen Universität (TU) Dortmund. In diesem Jahr hat sich im Leben des Studenten aber noch viel mehr verändert: Er wohnt getrennt von Familie und Freunden in einem Land, zu dem er vorher keine Beziehung hatte. Er lernt mit Begeisterung Deutsch. Er studiert Raumplanung. Und er hat ein festes Ziel: „Ich möchte in Deutschland viel lernen und dann meinem Land beim Wiederaufbau helfen.“ Seine Kommilitonin Avan Dalloo, 19 Jahre alt und aus dem kurdischen Norden Iraks, stimmt zu und sagt: „Und mir selbst möchte ich auch helfen“.

Partnerschaft für den akademischen Wiederaufbau

Irakische Studentinnen im Gespräch, in der Mitte Avan Dalloo
© Jan Greune

Irakische Studentinnen im Gespräch, in der Mitte Avan Dalloo

Irakische Studentinnen im Gespräch, in der Mitte Avan Dalloo

© Jan Greune

Ahmed Sabah Al-Edresi und Avan Dalloo gehören zu den Pionieren des ersten deutsch-irakischen Bachelorstudiengangs Raumplanung. Sie sind zwei der elf irakischen Studierenden, die an diesem Pilotprogramm an der TU Dortmund teilnehmen. Entstanden ist es im Rahmen der Anfang 2009 gestarteten „Strategischen Akademischen Partnerschaft“ Deutschlands mit dem Irak, die vom Auswärtigen Amt mit Sondermitteln finanziert wird. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) füllt die Partnerschaft zum Wiederaufbau der Hochschulstrukturen des Landes mit Leben: Er bietet zum Beispiel Stipendienprogramme für Studierende und Doktoranden, leistet Bücherspenden für Hochschulbibliotheken, unterstützt Forschungsaufenthalte irakischer Wissenschaftler in Deutschland und fördert fünf gemeinsame Projekte deutscher und irakischer Universitäten. Langfristiges Ziel der „Strategischen Akademischen Partnerschaft“ ist die Einrichtung einer Deutsch-Irakischen Universität im Irak. Dann soll auch der an der TU Dortmund entwickelte Bachelorstudiengang dorthin übertragen werden. Bis dahin reisen die elf Studierenden einmal im Jahr für mehrere Wochen zurück in den Irak. Dann wird das Gelernte in mehrwöchigen Praktika in Stadtverwaltungen und Ministerien angewendet. So sollen die jungen Leute engen Kontakt zu ihrer Heimat halten und auch die dortigen Strukturen kennen lernen.

Praxisorientierte und fächerübergreifende Ausbildung

Einführungsseminar mit Hasan Sinemillioglu
© Jan Greune

Einführungsseminar mit Hasan Sinemillioglu

Einführungsseminar mit Hasan Sinemillioglu

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Zu Beginn des ersten Semesters des Bachelorprogramms in Dortmund steht allerdings Deutschunterricht noch am häufigsten auf dem Stundenplan. Das wird sich bald ändern: Gerade hat die Gruppe mit den ersten einführenden Seminaren und Exkursionen begonnen. Das Curriculum entwarfen die TU-Professoren Christa Reicher und Einhard Schmidt-Kallert sowie der wissenschaftliche Mitarbeiter Hasan Sinemillioglu in Workshops gemeinsam mit Kollegen der irakischen Partnerhochschulen Bagdad, Diyala, Dohuk und Mosul. „Die Inhalte sind genau auf die Bedürfnisse eines Landes im Wiederaufbau zugeschnitten“, sagt Christa Reicher, Dekanin der Fakultät Raumplanung. „Ganz konkret gehören dazu zum Beispiel Konfliktlösungsstrategien, das Thema Wassermanagement und das Entwickeln von Finanzierungskonzepten“. Teil der Philosophie der Fakultät Raumplanung in Dortmund – der gemessen an der Anzahl der Fachgebiete und der Studierenden größten in Europa – ist zudem die fächerübergreifende und stark praxisorientierte Ausrichtung. Sozialwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Stadt-, Verkehrs- und Infrastrukturplanung sind zentrale Felder, die in der Raumplanung zusammenkommen. Sie alle spielen für den Wiederaufbau im Irak nach den Zerstörungen des Krieges und Folgen der Zwangsumsiedlungen im Norden des Landes eine wichtige Rolle. Die Kooperationsprojekte mit den irakischen Partnern, kurz Pliq (Planning education for Iraq) genannt, umfassen zudem gemeinsame Forschungsprojekte, zum Beispiel zum Umgang mit historischen Städten oder den Herausforderungen des Klimawandels, Regionalentwicklung und Stadt-Land Beziehungen sowie die Fortbildung irakischer Dozenten. Sie sollen einmal an der Deutsch-Irakischen Universität unterrichten.

Bildung als Beitrag zu Demokratie und Stabilität

Erste CAD-Übungen mit den Professoren Christa Reicher und Einhard Schmidt-Kallert
© Jan Greune

Erste CAD-Übungen mit den Professoren Christa Reicher und Einhard Schmidt-Kallert

Erste CAD-Übungen mit den Professoren Christa Reicher und Einhard Schmidt-Kallert

© Jan Greune

Noch erlaubt die Sicherheitslage im Irak keinen konkreten Zeitrahmen für die Umsetzung der Deutsch-Irakischen Universität. „Doch das sollte uns nicht davon abhalten, das zu tun, was aktuell möglich ist“, sagt Dr. Christian Hülshörster, Leiter der Gruppe „Nordafrika, Naher und Mittlerer Osten“ beim DAAD. „Man kann im Bereich der Hochschulkooperation viel erreichen, ohne dass man gleich einen ganzen Campus baut.“ Schließlich gilt Bildung als eine der wichtigsten Grundlagen für demokratische Entwicklung und zivilen Wiederaufbau. Daher fördert das Auswärtige Amt  im Rahmen seiner Außenwissenschaftspolitik nicht nur den akademischen Aufbau im Irak, sondern auch in anderen Konfliktregionen und Transformationsländern des Nahen und Mittleren Ostens. In Afghanistan zum Beispiel engagiert sich die Ruhr-Universität Bochum für die Ausgestaltung des Fachs Wirtschaftswissenschaften an mehreren Hochschulen. Die TU Berlin leistet umfangreiche Unterstützung in der Informatikausbildung und im Aufbau von Computernetzwerken. Die Geologen und Geografen der Universität Bonn entwickeln Curricula und organisieren Fortbildungskurse für afghanische Studierende und Wissenschaftler. Für andere Länder, wie zum Beispiel Pakistan oder den Jemen, gibt es aktuell noch keine Sonderprogramme. Trotzdem wird auch hier versucht, im Rahmen der regulären DAAD-Programme akademische Aufbauarbeit und damit letztlich einen Beitrag zur Krisenprävention zu leisten.

Engagement und Verantwortung

Was versprechen sich die sehr engagierten deutschen Hochschulen von den Kooperationsprojekten? „Da spielen ganz unterschiedliche Motive eine Rolle“, antwortet Christian Hülshörster. Zum Teil gebe es noch Kontakte nach Afghanistan oder in den Irak aus der Zeit vor den Kriegen, an die die Hochschulen anknüpfen möchten. Auch eigene Forschungsinteressen in den Ländern spielten eine Rolle, etwa im Bereich der Geo- und Agrarwissenschaften. „Für zentral halte ich allerdings auch eine Motivation, die vielleicht banal klingt.“, sagt der DAAD-Experte. „Es geht darum zu helfen – die Situation der Menschen im Land nachhaltig zu verbessern, indem in Bildung investiert wird. Mittel- und langfristig dürfte das eine der wichtigsten und erfolgreichsten Strategien überhaupt sein.“ Auch die Raumplaner der TU Dortmund, für die Internationalität und interkulturelles Lernen ohnehin hohen Stellenwert haben, setzen sich leidenschaftlich für ihr Projekt ein. „Wir sind uns der großen Verantwortung für die Gruppe junger Iraker bewusst“, sagt Cornelia Reicher. Ein ganzer Stab wissenschaftlicher Mitarbeiter hilft den Stipendiaten dabei, den deutschen Alltag kennenzulernen und ist für alle Probleme ansprechbar. Das zeigt Wirkung: „Deutschland ist meine zweite Heimat“, sagt Ahmed Sabah Al-Edresi schon jetzt. Trotzdem stehe für ihn fest, dass er eines Tages zurück in den Irak geht. Er lächelt verschmitzt. „Was ich dann allerdings gerne mitnehmen würde, ist die S-Bahn.“

Text: Janet Schayan/Societäts-Verlag

Stand 30.12.2010

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