Staatsaufbau/Innenpolitik
Staatsaufbau/Innenpolitik
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Stand: April 2011
Staatsaufbau
Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Baluchistan, Khyber Pakhtunkhwa (ehemals North West Frontier Province NWFP) und den „Federally Administered Tribal Areas“ (FATA). Die pakistanische Verfassung bestimmt, dass die vom Parlament beschlossenen Gesetze in FATA nur gelten, wenn dies der Präsident explizit anordnet. Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete von Gilgit-Baltistan (die früheren „Northern Areas“) und Azad Jammu & Kashmir (AJK – „freies Kaschmir“), den auf der pakistanischen Seite der Demarkationslinie („Line of Control“) zwischen Indien und Pakistan liegende Teil Kaschmirs. Beide Gebiete werden offiziell nicht zum pakistanischen Staatsgebiet gerechnet. Gilgit-Baltistan hat im September 2009 eine Teilautonomie erhalten. Es war bislang von Islamabad aus regiert worden. AJK genießt ebenfalls Autonomie, ist aber finanziell von der Zentralregierung in Islamabad abhängig.
Die gesetzgebende Gewalt in Pakistan liegt beim Parlament. Das Parlament besteht aus zwei Kammern, der Nationalversammlung und dem Senat. Daneben werden in den Provinzen Pakistans Provinzversammlungen gewählt. Die Nationalversammlung umfasst 342 Abgeordnete, von denen 272 direkt vom Volke gewählt werden. Es gilt das Mehrheitswahlrecht. 60 Sitze sind für Frauen, 10 weitere für Vertreter religiöser Minderheiten reserviert. Die reservierten Sitze werden auf die in der Nationalversammlung vertretenen Parteien entsprechend ihrem Stimmenanteil verteilt. Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre.
Im April 2010 wurde eine weitreichende Verfassungsreform verabschiedet, die von einem parteiübergreifenden Parlamentsausschuss seit Juni 2009 vorbereitet worden war. Ziel der Kommission war es, zur Grundgestalt der unter Präsident Zulfikar A. Bhutto 1973 verabschiedeten Verfassung zurückzukehren, die nach zahlreichen Eingriffen der Militärherrscher Zia ul Haq und Musharraf fast bis zur Unkenntlichkeit verändert worden war. Kernelemente der vorgenommenen Verfassungsänderungen sind eine Stärkung der Position des Premierministers bei gleichzeitiger Schwächung der Machtbefugnisse des Präsidenten, eine Stärkung des Föderalismus durch eine deutliche Ausweitung der Kompetenzen der Provinzen gegenüber der Zentralregierung, eine Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz durch ein neues Ernennungsverfahren für die obersten Richter und die Einführung zweier neuer Grundrechte: des Rechts auf Information und des Rechts auf Erziehung.
Aktuelle innenpolitische Lage
Aus den Parlamentswahlen am 18. Februar 2008 war die bis dahin oppositionelle Pakistan Peoples Party (PPP) unter der Führung von Asif Ali Zardari, dem Witwer der 2007 ermordeten ehemaligen Premierministerin Benazir Bhutto, als Sieger hervorgegangen. Ihre Parlamentsmehrheit reichte aber für eine Alleinregierung nicht aus. Sie schloss sich deshalb mit der zweitgrößten Partei, der PML-N des ehemaligen Premierministers Nawaz Sharif, und zwei kleineren Parteien zu einer Koalition zusammen. Yousaf Rana Gilani (PPP) wurde am 24. März 2008 zum Premierminister gewählt.
Präsident Musharraf, der am 29. November 2007 als ziviler Präsident für eine weitere fünfjährige Amtszeit vereidigt worden war, trat am 18. August 2008 angesichts eines drohenden Amtsenthebungsverfahrens zurück und verließ Pakistan. Am 6. September 2008 wurde Zardari von der Nationalversammlung und den vier Provinzversammlungen zum neuen Präsidenten gewählt und am 9. September vereidigt. Politische Differenzen zwischen der PPP und der PML-N hatten wenige Tage zuvor am 25. August 2008 zum Austritt der PML-N aus der Regierungskoalition geführt. Die PPP führte seitdem eine Koalitionsregierungmit der MQM, der viertstärksten Partei im Parlament, sowie den kleineren Parteien ANP und JUI-F. Die JUI-F trat im Dezember 2010 aus der Regierung aus, so dass die Regierung derzeit nur über eine fragile Mehrheit verfügt. Die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stehen 2013 an.
Seit Ende April 2009 haben sich die militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem pakistanischen Militär und den Taliban verschärft. Zuvor hatten die Taliban eine Vereinbarung mit der Provinzregierung von Khyber Pakhtunkhwa im Februar 2009 genutzt, um die Herrschaft im Swat-Tal zu übernehmen und anschließend in zwei Nachbardistrikte vorzurücken. Die Armee antwortete daraufhin am 26. April 2009 mit einer Gegenoffensive und beendete die Taliban-Herrschaft im Swat-Tal. Von Oktober bis Dezember 2009 wurden die Taliban aus Süd-Wasiristan (FATA) vertrieben, einer Region, die von ihnen jahrelang kontrolliert worden war. Daneben finden auch in anderen Teilen der FATA immer wieder Gefechte statt. Die Taliban reagieren auf diese Militäroperationen mit Terroranschlägen, von denen v.a. Khyber Pakhtunkhwa und FATA betroffen sind, die sich aber auch gegen Ziele in pakistanischen Großstädten wie z.B. Karachi, Lahore und Faisalabad richten. Die Terroranschläge halten auch im Jahr 2011 an. Sie zielen vor allem auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, religiöse Minderheiten sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Scharia-Auslegung der Taliban folgen, wie z.B. die Sufis. .
Die pakistanische Regierung steht in dieser Auseinandersetzung vor großen Herausforderungen: Um die militärischen Erfolge zu konsolidieren und einer Rückkehr der Taliban vorzubeugen, müssen in den zurück gewonnenen Gebieten funktionierende zivile Verwaltungsstrukturen etabliert werden, das gilt v.a. für das Rechtssystem. Außerdem muss die wirtschaftliche Entwicklung dieser Gebiete vorangetrieben werden. Schließlich gilt es, die große Zahl interner Flüchtlinge zu bewältigen, die im Sommer 2009 auf die Zahl von 2,7 Mio. angestiegen war. Mittlerweile sind die Bewohner des Swat-Tals wieder zurückgekehrt. Dennoch wird die Zahl der Binnenflüchtlinge, vor allem aufgrund der weitergehenden Kämpfe in den FATA, immer noch knapp eine Mio. geschätzt.
Gesellschaftliche Strukturen
Pakistan ist nach eigener Bezeichnung eine „islamische Republik“. Der Islam ist in der Verfassung als Staatsreligion festgeschrieben. Ebenso sind Staat und Regierung aufgerufen, den Muslimen des Landes die Einhaltung einer islamischen Lebensführung zu ermöglichen und ihnen die Möglichkeit zum Erlernen der fundamentalen Werte des Koran zu geben. Die Interpretation dieses Auftrags ist unter verschiedenen Regierungen unterschiedlich ausgefallen. Die strenge Auslegung islamischer Wertvorstellungen und ihre forcierte Implementierung unter General Zia-ul Haq prägen bis heute die Debatte über die Art und Funktion religiöser Gesetze in der pakistanischen Gesellschaft. Aus dieser Zeit stammen insbesondere die sog. Hudood-Gesetze, die Körperstrafen und die Ungleichbehandlung von männlichen und weiblichen Zeugen vorsehen. Im November 2006 gelang es der Regierung mit Mühe, ein Gesetz durch das Parlament zu bringen, das die frauenfeindlichsten Elemente der Hudood-Gesetze entschärfte und u.a. die Chancen von Frauen verbessert, Vergewaltiger zur Rechenschaft zu ziehen. Teile dieses Gesetzes hat der Federal Sharia Court, der die Vereinbarkeit aller Gesetze mit dem Islam prüfen soll, inzwischen für nicht vereinbar mit dem Islam erklärt, die Regierung hat dagegen Berufung vor dem Obersten Gerichtshof eingelegt. Über die Berufung wurde noch nicht entschieden.
Vor allem auf dem Land wird die Gesellschaft Pakistans noch immer von feudalen Machtstrukturen dominiert. Eine wichtige Rolle spielt das Militär. Eine bürgerliche Mittelschicht bildet sich in den Städten heraus und entfaltet zunehmend politisches Bewusstsein. Es ist dieser Teil der Gesellschaft, der die Anwaltsbewegung getragen hat, die sich schließlich erfolgreich für die Wiedereinsetzung des unter Präsident Musharraf 2007 abgesetzten Obersten Richters Iftikhar Chaudhry und eine unabhängige Justiz eingesetzt hat. Die Bevölkerungsmehrheit bilden arme Lohnarbeiter und Bauern, die auf dem Land zum Teil in starker Abhängigkeit von Großgrundbesitzern leben.
Menschenrechtslage
Pakistan hat im Juni 2010 den internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie die Konvention gegen Folter ratifiziert. Nach der Ratifikation des internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im April 2008 hat Pakistan damit eine Reihe wichtiger menschenrechtlicher Kodifikationen ratifiziert. Allerdings enthalten die Ratifikationen sehr weitreichende Vorbehalte, die teilweise den Schutzbereich der Konventionen erheblich einschränken.
Die pakistanische Verfassung enthält in einem eigenen Abschnitt über Grundrechte auch eine Reihe wichtiger menschenrechtlicher Garantien. Allerdings weichen der Anspruch der Verfassung und die gesellschaftliche Realität voneinander ab. Polizei und Justiz unterlaufen häufig Fehler bei der Untersuchung von Straftaten. Korruption ist weit verbreitet. Die pakistanischen Gerichtshöfe sind zudem überlastet: Gerichtsverfahren ziehen sich nicht selten über Jahrzehnte hin. Auch die seit dem Ende der Militärherrschaft wiedererstarkte Judikative ist bisher noch nicht in der Lage gewesen, einen besseren gerichtlichen Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten.
Kinderarbeit ist laut Verfassung illegal. Pakistan hat das Übereinkommen der ILO Nr. 182 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999 ratifiziert. Gleiches gilt für die Kinderrechtskonvention. Dennoch schätzen Nichtregierungsorganisationen, dass Kinderarbeit weiterhin sehr verbreitet ist, v.a. in der Landwirtschaft und im häuslichen Bereich.
Die Lage der religiösen Minderheiten (v.a. Christen und Hindus) sowie der Ahmadis, die vom pakistanischen Staat als Nicht-Muslime klassifiziert werden, ist weiterhin schwierig. Eine Bedrohung geht von militanten Organisationen v.a. gegen Christen, Ahmadis, Schiiten und gemäßigte Sunniten aus. Gewalttäter gehen aufgrund von Korruption, lokalen Feudalstrukturen und der Ineffizienz der Justiz jedoch häufig straffrei aus.
Lage der Frauen
Pakistan hat das „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ ratifiziert. Trotz des in der Verfassung festgeschriebenen Diskriminierungsverbots sind Frauen in Pakistan in mehreren Rechtsbereichen aufgrund traditioneller patriarchalischer Normen und infolge der Anwendung islamisch geprägter Rechtsvorschriften schlechter gestellt als Männer.
Durch die Einführung einer Frauenquote in den gewählten Versammlungen auf Bundes-, Länder-, und Bezirksebene sind seit 2002 deutlich mehr Frauen in die Parlamente gewählt worden (ca. 20% in der Nationalversammlung). Nach langen Beratungen wurde im Januar 2010 der Entwurf des Gesetzes gegen geschlechtsbezogene Belästigung am Arbeitsplatz („Sexual Harrassment Bill“) vom Senat angenommen. Die Nationalversammlung hatte bereits Mitte 2009 zugestimmt. Dieser Erfolg geht auch darauf zurück, dass die Parlamentarierinnen begonnen haben, sich bei einzelnen Themen parteiübergreifend zu organisieren.
Unabhängig von ihrer rechtlichen Stellung sind besonders Frauen aus ärmeren Schichten und auf dem Land faktisch von Geburt an benachteiligt. So ist z.B. die Kindersterblichkeit bei Mädchen höher als bei Jungen. Die Alphabetisierungsrate der Frauen liegt deutlich unter der der Männer ( zufolge ca. 39,6 Prozent bei Frauen gegenüber 67,7 Prozent bei Männern). Die Lebenserwartung liegt allerdings bei 64 Jahren für Männer und 65 Jahren für Frauen.
Hinweis