Wirtschaft
Wirtschaft
-
-
-
-
-
-
Stand: Februar 2011
Struktur der Wirtschaft
Argentinien ist die wichtigste spanischsprachige Volkswirtschaft Südamerikas, und innerhalb Lateinamerikas, nach Brasilien und Mexiko, drittstärkste Nation.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2009 betrug 307 Mrd. USD, das pro-Kopf-Einkommen ca. 7.650 USD. 2010 dürften beide Werte als Folge des auf ca. 8 % geschätzten Wirtschaftswachstum deutlich gestiegen sein.
Die Land- und Forstwirtschaft, einschließlich Viehzucht, trägt ca. 11% zum BIP bei. Rechnet man die Nahrungsmittelindustrie hinzu, so erhöht sich der Wert auf knapp über 20%. Handel und Dienstleistungen tragen 54% zum BIP bei, das Baugewerbe ca. 5%. Der argentinische Bankensektor ist weitgehend vom internationalen Finanzmarkt abgekoppelt und hat nur geringfügig unter der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise gelitten. Argentinien verfügt über wichtige Ressourcen an Rohstoffen, nicht nur im Agrarbereich als auch an Mineralien und Metallen. So profiliert sich der Bergbau als eine der wichtigen Zukunftsbranchen mit einer Beteiligung am BIP von bereits über 3% und hohem Wachstumspotential.
Argentinien ist Mitglied wichtiger internationaler Wirtschaftsorganisationen wie WTO, IWF, Weltbank, G-20, sowie auf regionaler Ebene Mercosur und ALADI.
Aktuelle Wirtschaftslage
2010 war für Argentinien ein Jahr der kräftigen konjunkturellen Erholung, mit einem geschätzten Wirtschaftswachstum von ca. 8%, nachdem 2009 die offizielle argentinische Statistik 2009 nur noch ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,9% auswies (private Schätzungen gehen sogar von einem Rückgang um ca. 2.5-3% aus). Zuvor lagen die Wachstumsraten über 6 Jahre hinweg zwischen 6,8 und 8,5%. Für 2011 erwartet man allerdings ein deutliches Abflachen des BIP-Wachstums auf ca. 4,5%.
Der Aufschwung 2010 wird durch steigende internationale Nachfrage nach argentinischen Agrarrohstoffen sowie durch die stark exportorientierte Kfz-Industrie getragen, die 2010 eine Rekordproduktion verzeichnete und ca. 60% der Fahrzeuge nach Brasilien exportiert. Von diesem Aufschwung profitieren auch andere Branchen, allen voran Metall, aber auch Textil, Nahrungsmittel, Kunststoff und Kautschuk. Im Agrarsektor – zusammen mit der Nahrungsmittelindustrie ein wichtiges Standbein der argentinischen Wirtschaft – führten klimabedingt sehr gute Ernten zu einem deutlichen Zuwachs gegenüber dem Vorjahr. Die Prognosen für 2011 deuten aufgrund geringerer Regenfälle auf einen leichten Produktionsrückgang.
Der private Konsum ist robust, unterstützt durch eine aggressive Angebotspolitik der großen Handelsketten, staatliche Beihilfeprogramme für ärmere Bevölkerungsschichten sowie eine Flucht in Sachwerte aus Furcht vor der Inflation, die mit dem hohen Wachstum einhergeht.
Nach Angaben der staatlichen Statistik-Agentur INDEC lag die Inflationsrate im Jahresvergleich Ende 2010 bei 10,9%. Seit INDEC Anfang 2007 unter Regierungsaufsicht gestellt und die Berechnungsgrundlagen verändert wurden, ziehen private Wirtschaftsinstitute und internationale Organisationen die offizielle Zahl allerdings in Zweifel. Ihre Schätzungen für 2010 liegen bei ca. 25% im Jahresvergleich. Für 2011 wird mit ähnlichen oder leicht höheren Werten gerechnet. Diese Entwicklung schlägt sich in hohen Abschlüssen bei den letzten Tarifrunden 2009 und 2010 nieder, ebenso wie bei den Forderungen der Gewerkschaften in anlaufenden Tarifverhandlungen 2011. Nachdem sich die argentinische Industrie nach der starken Abwertung in der Wirtschaftskrise 2002 zunächst gut positionieren konnte, hat sie im regionalen und internationalem Vergleich mittlerweile aufgrund stark gestiegener Lohnstückkosten bei gleichzeitig relativ stabilem Wechselkurs deutlich an Wettbewerbsfähigkeit verloren.
Die offizielle Arbeitslosenrate Ende 2010 liegt bei ca. 7,4% (2009: 8,4%). Außerdem werden in den öffentlichen Statistiken noch weitere ca. 8,8% als „teil- oder unterbeschäftigt“ geführt, auch hier mit fallender Tendenz (Ende 2009: 10,6%). Beide Werte beziehen die Empfänger von Sozialleistungen nicht ein. Mit 35% liegt der Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung im informellen Sektor noch immer auf hohem Niveau.
2009 lebten nach offiziellen Angaben 12,4% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze und 3,1% unter der Elendsgrenze. Die katholische Kirche und zahlreiche NROs schätzen die Armutsrate allerdings auf ca. 23% der Bevölkerung und gehen davon aus, dass über 8% unter der Elendsgrenze leben. Hauptursache der Differenzen ist die starke Abweichung im Wert des Grundbedarfswarenkorbs als Folge der Unterschiede in der Inflationsberechnung.
Die Bruttoanlageinvestitionen sind im internationalen Vergleich hoch und liegen bei ca. 22,5% des BIP, nach einem krisenbedingten leichten Rückgang 2009 auf ca. 21%. Allerdings sind diese stark von Investitionen im Baugewerbe geprägt. Es mangelt an ausreichenden Investitionen zum Ausbau der Industrie- und Energieproduktion. Staatliche Vorhaben konzentrieren sich vorrangig auf Bau, Infrastruktur und den Energiesektor.
Agrar- und Ernährungssektor
Der Konflikt zwischen den Agrarproduzenten und der Regierung, der 2008 zu monatelangen Streiks und Blockaden führte, hielt 2009 und 2010 in abgeschwächter Form an. Exportbeschränkungen und hohe Exportabgaben sowie staatlich diktierte Höchstpreise zur Schonung des Inlandsmarktes dämpfen die Investitionsneigung im Agrarsektor.
2010 lag der Anteil des Agrar-, Forst- und Fischereisektors am Gesamt-BIP bei ca. 11% (2009: 7,7%; 2008: 9,0%). Der Agrarsektor einschließlich Ernährungsindustrie und -handel trug zu etwas über 20% der Wirtschaftsleistung Argentiniens bei. Auf ca. 33 Mio. ha Ackerflächen werden 2010/2011 voraussichtlich 95 Mio. t Getreide- und Ölsaaten geerntet.
Die Weizenernte erreichte auf 4,5 Mio. ha (+36%) rd. 14 Mio. t und damit 74% mehr als im Vorjahr. Die höheren Erträge beruhen auf den ausreichenden Niederschlägen im Winter und Frühjahr.
Von dieser Ernte werden 6,5 Mio. t für den internen Konsum benötigt (Nahrungsmittel, Saatgut, Futtermittel) und 7,5 Mio. t verbleiben für den Export.
Soja bleibt trotz ökologischer Bedenken (oder Nachteile) sowie der höchsten Ausfuhrsteuer die wichtigste Kultur (fast zwei Drittel der Anbaufläche von Getreide und Ölsaaten, 18,7 Mio. ha.). Sie wirft aufgrund der relativ niedrigen Anbaukosten die höchsten Gewinne ab. Die Erntemenge für 2010/2011 kann in dieser Jahreszeit nur grob auf 48 Mio. t geschätzt werden. 39 Mio. t werden zu 7,5 Mio. t Sojaöl und 30 Mio t Schrot vermahlen. 2,9 Mio. t Öl gehen auf den Binnenmarkt (2,5 Mio. t für die Biodieselproduktion), der Rest wird ausgeführt. China ist mit 4,6 Mio. t Sojaöl der wichtigste Abnehmer.
Weitere wichtige Kulturen sind Mais (4 Mio. ha, ca. 22 Mio. t), Sorghum (1 Mio. ha, ca. 3,3 Mio. t) und Sonnenblumen (1,6 Mio. ha, ca. 2,2 Mio. t).
Die Rindfleischexporte Argentiniens sinken seit 2005 (mit Ausnahme von 2009) kontinuierlich: 0,77 Mio. t 2005; 0,57 Mio. t 2006; 0,54 Mio. t 2007; 0,38 Mio. t 2008; 0,57 Mio. t 2009 und voraussichtlich rd. 0,31 Mio. t 2010. Auch hier wirken sich neben der Witterung hauptsächlich staatliche Kontrollmaßnahmen aus, die den Export dämpfen und Verbraucherpreise im Land niedrig halten sollen. Deutschland blieb für argentinisches Rindfleisch mit einem Anteil von etwa 22% an den gesamten Rindfleischausfuhren auch 2010 wichtigster Absatzmarkt.
Die Milchproduktion hat sich in den letzten beiden Jahren kaum entwickelt. Weil andere Agrarsparten rentabler waren, haben einige Produzenten die Milcherzeugung aufgegeben. 2009 und 2008 wurden je rund 10 Mrd. Liter erzeugt (+ 5 % ggü. 2007). Wegen staatlicher Preisfestlegungen und Exportkontrollen konnte die argentinische Milchproduktionskette nur begrenzt von dem höheren internationalen Preisniveau profitieren. Dennoch hat sich der Wert der Milchausfuhren von 593 Mio. USD (2009) auf rd. 717 Mio. USD (2010) erhöht.
Weitere wichtige Ausfuhrgüter aus dem Agrarsektor sind Frischobst (930 Mio. USD) und Fischereiprodukte (538 Mio. USD).
Finanzielle Situation
Das Haushaltsjahr 2009 war geprägt von der internationalen Finanzkrise und endete erstmals seit 2002 mit einem Defizit. Bei einem Primärüberschuss (vor Zinszahlung) von 1,53% (4,50 Mrd. USD) schloss das Haushaltsjahr mit einem Fiskaldefizit von ca. 1,88 Mrd. USD. Dabei sind die Einnahmen aus der staatlichen Rentenkasse (1,92 Mrd. USD) und eine Sonderzahlung des IWF (2,50 Mrd. USD) bereits eingerechnet. Ohne diese Beträge läge das Defizit bei 6,30 Mrd. USD.
In 2010 ist eine Erholung zu verzeichnen. Nach Angaben von Wirtschaftsminister Boudou lagen die Einnahmen in 2010 bei 350,296 Mrd. ARS (87,39 Mrd. USD) und die Ausgaben bei 301,781 Mrd. ARS (75,29 Mrd. USD). Insgesamt konnte ein Primärüberschuss von 25,08 Mrd. ARS (6,26 Mrd. USD) erzielt werden; das entspricht rund 1,8% des BIP. Das Haushaltsjahr schloss mit einem Fiskalüberschuss von 3,04 Mrd. ARS (758 Mio. USD); das sind rund 0,2% des BIP.
Damit wurde die Finanzierung in 2010 – erwartungsgemäß – sichergestellt. Allerdings wurden auch bei den Zahlen für 2010 interne Sonderzahlungen einberechnet. Dies sind vor allem Devisenreserven und Gewinne der Zentralbank sowie Einnahmen der staatlichen Rentenkasse Anses. Alleine die Zentralbank überwies in 2010 21,247 Mrd. ARS Gewinne (5,30 Mrd. USD) an die Staatskasse. Weitere 8,602 Mrd. ARS (2,15 Mrd. USD) kamen von der Anses. Insgesamt liegt die Summe dieser Transfers bei 29,854 Mrd. ARS (7,45 Mrd. USD). Somit hat sich die Erwartung bestätigt, dass der Zentralbank unter der Leitung von Mercedes Marcó del Pont eine wichtigere Rolle bei der Finanzierung zukommt als unter Amtsvorgänger Redrado.
Diese Entwicklung wird vermutlich anhalten. Weil der Entwurf des Haushaltsgesetzes für 2011 im Parlament scheiterte, wird die Regierung in 2011 auf Basis des Haushaltsgesetzes 2010 regieren – und dadurch über einen noch größeren Handlungsfreiraum bei Haushaltsanpassungen verfügen. Die Regierung hat bereits angeordnet, dass der aktuelle Haushalt um 50,294 Mrd. ARS (12,55 Mrd. USD) höher liegt als im Vorjahr. Per Notstandsdekret hat sie ferner die Beibehaltung des – umstrittenen – Entschuldungsfonds aus Devisenreserven zur Schuldenbegleichung verfügt. Den Transfer von Devisenreserven in Höhe von 7,504 Mrd. USD für 2011 hat die Zentralbank im Januar bereits genehmigt.
Um mehr Spielraum zu gewinnen und die Zahlungsfähigkeit zu sichern, hält Wirtschaftsminister Boudou an seinem Vorhaben fest, Argentinien mittelfristig an die internationalen Kapitalmärkte zurückzuführen. Eine wichtige Hürde hierfür ist geschafft: Das lange geplante Umschuldungsangebot an die Altgläubiger ARG Staatsanleihen wurde im Juni und Dezember – hier erfolgte eine kurzfristige erneute Angebotsöffnung sowie ein zusätzliches Tauschangebot für sog. ‚Brady-Bonds‘ – weitgehend erfolgreich durchgeführt. Insgesamt konnten rund 95% aller infolge des Staatsbankrotts ausstehenden Verbindlichkeiten seit 2002 geregelt werden.
Bei der Begleichung der noch ausstehenden Schulden im sog. Pariser Club gibt es Bewegung. Bis Mitte 2011 will sich die ARG Regierung mit dem Pariser Club über die Modalitäten der Schuldenrückzahlung einigen. Erste Gespräche haben stattgefunden. Schließlich ist eine – vorsichtige – Annäherung an den IWF auszumachen. Die ARG Regierung empfing im Dezember eine Delegation des IWF, um mit dessen Hilfe die Methodik des nationalen Statistikamtes Indec hinsichtlich des nationalen Konsumentenpreisindex zu überarbeiten. Erste Ergebnisse sollen in den nächsten Monaten vorgestellt werden.
In der Wechselkurspolitik erwartet man weiterhin Kontinuität; d.h. die fortdauernde leichte Abwertung des ARS gegenüber dem USD. U.a. durch Devisenmarktinterventionen der Zentralbank hat der Kurs des Peso in 2010 um knapp 5% gegenüber dem Dollar abgewertet. Gegenwärtig liegt der Kurs bei 4,04 gegenüber 3,94 im August 2010. Die Devisenreserven befinden sich mit über 52 Mrd. USD auf einem Rekordhoch.
Außenhandel
(Alle Werte für den Zeitraum Januar bis November 2010)
Nach einem Rückgang des Außenhandels während der Wirtschaftskrise sind sowohl die Importe als auch die Exporte wieder deutlich gestiegen. Dabei nahmen die Importe mit 45,2% (51,1 Mrd. USD) gegenüber gleichem Vorjahreszeitraum wertmäßig deutlich stärker zu als die Ausfuhren (+23,7%; 62,9 Mrd. USD). Der Außenhandelsüberschuss ging infolgedessen um fast 25% gegenüber Vorjahresniveau zurück, auf 11,8 Mrd. USD. Der stärkere Anstieg der Einfuhren lag zum einen daran, dass zur Sicherstellung der Energieversorgung im kalten Winter 2010 beträchtliche Mengen an Treibstoffen (Rohöl, Gas) eingeführt werden mussten. Zum anderen hat der Anstieg der Industrieproduktion zu einer verstärkten Nachfrage nach Zubehör und Ersatzteilen zum Erhalt der Produktionskapazität sowie nach Zwischenprodukten geführt. Ein nennenswerter Anstieg von Investitionen in neue Produktionsanlagen ist nicht zu beobachten.
Die Regierung versucht mit Hilfe verschiedener Importbeschränkungen die Außenhandels- und Devisenbilanz sowie die einheimische Industrie zu schützen.
Unter den Exportgütern Argentiniens stechen traditionell Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel mit 54% aller Ausfuhren hervor (in erster Linie Fette, Öle und Tierfutter, Getreide, Fleisch und Fleischwaren sowie Soja). Unter den Industriegüterexporten (2010: knapp 35%) dominieren vor allem Kfz und Zubehör, es folgen mit deutlichem Abstand chemische Produkte und Metallwaren.
Mit Abstand wichtigster Handelspartner ist der Mercosur, wohin 24,6% aller argentinischen Exporte gehen und aus dem das Land 33,4% aller Einfuhren bezieht. Es dominiert der Handel mit Brasilien (Exporte knapp 21%; Importe 31%). Bei den Exporten folgt Asien mit knapp 24% als zweitwichtigste Region mit steigender Bedeutung (2009: knapp 21%), deutlich vor EU (16%) und NAFTA (9%). Ähnlich ist das Bild bei den Einfuhren: Asien knapp 23 %, EU 17% und NAFTA knapp 15%. Deutschland liegt auf 4. Rang bei der Herkunft der argentinischen Importe und ist als Exportziel von Rang 9 auf Rang 7 aufgerückt.
Energiepolitik
Argentinien verfügt über umfangreiche energetische und nicht-energetische Rohstoffvorkommen, hat aber bislang keine umfassende nationale Rohstoffstrategie entwickelt. Die erschlossenen Öl- und Gasvorkommen decken nur noch für wenige Jahre den Eigenbedarf. Mangelnde Investitionsanreize und die föderale Zuständigkeitsverteilung haben die Erschließung neuer Quellen bislang behindert. Die Nutzung der enormen Potentiale für Wind- und Solarenergie steht noch ganz am Anfang.
Langfristig versucht ARG durch Mechanismen der regionalen Integration die Versorgungssicherheit zu verbessern und die Energiematrix zu erweitern: Zum einen setzt die Regierung ein ehrgeiziges Nuklearprogramm um, zum anderen hat sie ein Programm zum Ausbau von erneuerbaren Energien (GENREN) beschlossen. Die Stromversorgung aus erneuerbaren Energien soll von derzeit 1% bis zum Jahr 2016 auf 8% steigen.
Argentinien ist Gründungsmitglied der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien IRENA.
Hinweis