Außenpolitik
Außenpolitik
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Stand: November 2010
Grundlinien der Außenpolitik
Die Türkei befindet sich in einem heterogenen außenpolitischen Umfeld, in dem die Regierung der AK-Partei eine Außenpolitik der „strategischen Tiefe“ und der „Null Probleme mit den Nachbarn“ betreibt. In den letzten Jahren hat die Türkei die Beziehungen zu zahlreichen Staaten, insbesondere zu ihren Nachbarn, intensiviert und zum Teil erheblich verbessert. Sie will als Regionalmacht stabilisierend wirken und dabei auch als Mittler zwischen der islamischen Welt und dem Westen fungieren. Die zunehmend aktive Rolle des NATO-Mitglieds und EU-Beitrittskandidaten Türkei in der Region und darüber hinaus sieht die Regierung nicht im Gegensatz, sondern vielmehr als Ergänzung zur Westorientierung, die seit den Zeiten des Republikgründers Atatürk eine der wesentlichen Leitlinien türkischer Außenpolitik ist.
Die Türkei ist auf dem Weg, ein wichtiges Transitland für Erdöl und Erdgas aus der Kaspischen Region zu werden. Das „Nabucco-Projekt“ (Gasleitung aus Aserbaidschan über die Türkei nach Europa), das derzeit Gestalt annimmt, ist hierfür nur ein Beispiel.
Die Türkei trägt mit Polizeikräften, Soldaten und zivilen Aufbauhelfern substanziell zu Krisenprävention- und Krisenmanagement-Einsätzen von VN, NATO und EU bei, so z.B. in Afghanistan, in Bosnien Herzegowina und in Kosovo.
Beziehungen zu den USA
Die Beziehungen zu den USA als geopolitisch-strategischem Partner sind für die Türkei vor allem im Sicherheitsbereich von zentraler Bedeutung. Die beim Besuch von US-Präsident Obama in der Türkei 2009 von beiden Seiten proklamierte „modellhafte Partnerschaft“ wird derzeit jedoch durch unterschiedliche Positionen beim iranischen Nukleardossier und die Verschlechterung der türkisch-israelischen Beziehungen beeinträchtigt. Ein schon seit längerem schwieriger Punkt in den bilateralen Beziehungen ist die Frage, ob die Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs als Völkermord zu bezeichnen sind.
Beziehungen zu Griechenland und Zypern
Das bilaterale Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei hat eine neue Dynamik gewonnen. Seitdem Ministerpräsident Papandreou 2009 zu einem seiner ersten Auslandsbesuche in die Türkei reiste, arbeiten die beiden Regierungen daran, Fortschritte in den Punkten zu erzielen, die die bilateralen Beziehungen belasten (Minderheiten, Seegrenzen). Im April 2010 fand in Athen die erste Sitzung des „hochrangigen türkisch-griechischen Kooperationsrates“ statt, an dem Ministerpräsident Erdoğan und zehn seiner Kabinettsmitglieder teilnahmen.
Bis zu einer umfassenden Regelung unter dem Dach der Vereinten Nationen will die Türkei die Republik Zypern völkerrechtlich nicht anerkennen. Das Anpassungsprotokoll zum Ankara-Abkommen zur Ausdehnung der Zollunion auf alle EU-Mitgliedstaaten setzt sie weiterhin nicht um. Sie fordert ein Ende der Isolierung Nordzyperns durch die EU. Für die Türkei ist Zypern eine nationale Frage, in der die Regierung auf einen breiten Konsens in der eigenen Bevölkerung Rücksicht nehmen muss. Seit dem Scheitern des von ihr unterstützten Annan-Plans 2004 ist die Türkei zu Zugeständnissen nicht bereit. Gleichwohl nimmt das Bewusstsein zu, dass die Zypernfrage die Beitrittsverhandlungen mit der EU ebenso belastet wie die regionale Entwicklung des östlichen Mittelmeerraums. Vor diesem Hintergrund unterstützt die Türkei die seit September 2008 unter VN-Vermittlung laufenden Direktverhandlungen zwischen dem zyprischen Präsidenten Christofias und dem im April 2010 neugewählten Führer der türkisch-zyprischen Gemeinschaft Eroğlu.
Beziehungen zu den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens
Das seit des Gaza-Kriegs Ende 2008 / Anfang 2009 angespannte Verhältnis der Türkei zu Israel wurde durch das Aufbringen der „Free Gaza“-Flottille durch das israelische Militär am 31. Mai 2010 weiter stark belastet. Die Türkei sieht in der Tötung von neun Zivilisten (acht türkische Staatsangehörige, ein US-Bürger türkischer Abstammung) in internationalen Gewässern eine eklatante Verletzung des Völkerrechts und fordert eine offizielle Entschuldigung Israels sowie Entschädigungszahlungen an die Hinterbliebenen. International betrieb die Türkei nicht zuletzt dank ihres Sitzes im VN Sicherheitsrat als nicht-ständiges Mitglied die Untersuchung des Vorfalls. Den Bericht der vom VN-Menschenrechtsrat eingesetzten Expertengruppe vom 22. September 2010, der Israel für den Vorfall scharf verurteilt und schwere Verletzungen des Völkerrechts und der internationalen Menschenrechte feststellt, begrüßte die Türkei. Das „Panel of Inquiry“ des VN-Generalsekretärs, das die Ereignisse aufarbeiten soll, unterstützt die türkische Regierung grundsätzlich.
In der Krise um Irak hat sich die türkische Regierung bemüht, Kontakte zu den arabischen Staaten neu zu knüpfen, auch durch die Initiierung der Irak-Nachbarstaatenkonferenzen. Im März 2009 besuchte Abdullah Gül als erster türkischer Staatspräsident seit über 30 Jahren den Irak; im Oktober 2009 fand die erste gemeinsame Kabinettssitzung statt. Bei der Regierungsbildung erhofft sich die Türkei eine Lösung, die möglichst viele Bevölkerungsgruppen einbindet. Nach aus dem Nordirak geführten schweren Terroranschlägen der PKK autorisierte das türkische Parlament im Oktober 2007 grenzüberschreitende Militäroperationen gegen die PKK. Wird die von der Regierung Erdoğan im Herbst 2009 eingeleitete „demokratische Öffnung“, die insbesondere an die kurdische Bevölkerung gerichtet ist, weiter vorangetrieben, wird auch eine friedliche Perspektive für die türkisch-irakische Grenzregion vorstellbar.
Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen der Türkei zu Syrien haben sich seit 2004 mit der Unterzeichnung zahlreicher bilateraler Verträge, darunter einem Freihandelsabkommen, erheblich verbessert. Mitte Oktober 2009 wurde zeitgleich mit den ersten türkisch-syrischen Regierungskonsulationen öffentlichkeitswirksam Visafreiheit im Reiseverkehr zwischen den beiden Staaten eingeführt. Die Türkei tritt für eine internationale Einbindung Syriens ein.
Auch das bilaterale Verhältnis der Türkei zum Libanon hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert. Vorläufiger Höhepunkt war der Staatsbesuch des libanesischen Ministerpräsidenten Hariri in der Türkei im Januar 2010, bei dem zahlreiche bilaterale Abkommen in den Bereichen Visa-Freiheit, Gesundheit, Landwirtschaft, Transportwesen, Bildung und militärische Zusammenarbeit unterzeichnet wurden.
Unter den außenpolitischen Initiativen der Türkei fanden die Vermittlungsbemühungen beim iranischen Nuklearprogramm im letzten Halbjahr international besonders große Aufmerksamkeit. Im Mai 2010 unterzeichneten die Außenminister von Iran, Türkei und Brasilien die sogenannte „Teheraner Erklärung“ zum Austausch von niedrig angereichertem Uran aus dem Iran gegen Brennstäbe für den Teheraner Forschungsreaktor. Mit der Begründung, der Diplomatie eine Chance geben zu wollen, stimmte die Türkei im Juli 2010 gegen weitere Sanktionen gegen den Iran. Zugleich bemüht sich die Türkei um eine Abstimmung mit den E3+3 (Frankreich, Großbritannien, Deutschland, USA, Russland und China).
Besonderes Engagement zeigt die Türkei beim Ausbau ihrer Rolle in der Islamischen Konferenzorganisation OIC, wo sie auf gesellschaftliche Reformen in der islamischen Welt drängt. Die OIC hat seit 2005 erstmals einen türkischen Generalsekretär.
Beziehungen zur Russischen Föderation
Die enger werdenden Beziehungen zu Russland erreichten mit dem Besuch von Präsident Medwedjew im Mai 2010 in Ankara einen weiteren Höhepunkt. Es wurde ein „Hoher Rat für bilaterale Zusammenarbeit“ gegründet und eine grundsätzliche Einigung zu weitgehender Visafreiheit unterzeichnet. Ferner wurde der Bau eines Atomkraftwerks mit russischer Technologie in der Südtürkei vereinbart. Russland ist der mit Abstand wichtigste Energielieferant (über 60% der Erdgas- und rund 40% der Erdöleinfuhren) und seit einigen Jahren auch der größte Handelspartner der Türkei (bezogen auf die türkischen Importe).
Beziehungen zu den Staaten des Kaukasus und Zentralasiens
Im Oktober 2009 unterzeichneten die Türkei und Armenien zwei Protokolle über die Aufnahme und Entwicklung diplomatischer Beziehungen. Die Türkei knüpft die Ratifizierung der Protokolle allerdings an Fortschritte bei der Lösung des Konflikts um Bergkarabach, was von Armenien strikt abgelehnt wird. Zudem belastet der türkisch-armenische Streit um die Bewertung der Ereignisse von 1915/16 den Verständigungsprozess. Seit der Suspendierung der Ratifizierung dieser Protokolle durch den armenischen Präsidenten im April 2010 ruht die offizielle Annäherung zwischen den beiden Staaten.
Das Verhältnis zu Aserbaidschan ist traditionell eng, wie zuletzt beim Besuch von Staatspräsident Gül in Baku im August 2010 zu sehen war.
Die Türkei unterstützt die politische Stabilität und territoriale Integrität Georgiens. Mit dem Vorschlag einer „Kaukasus Kooperations- und Stabilitätsplattform“ ist es der Türkei gelungen, nach der Georgien-Krise alle drei Kaukasus-Staaten und Russland an einen Tisch zu holen. Die weitere Verwirklichung dieser Initiative steht jedoch noch aus.
In Zentralasien versteht sich die Türkei als natürlicher Partner der dortigen (Turk-)Republiken. Verbindende Elemente sind Religion (Islam) oder Verwandtschaft mit den Turk-Völkern. Die Regierung Erdogan möchte vor allem die wirtschaftliche Dimension der Zusammenarbeit verstärken.
Beziehungen zu den Staaten des Balkan
Die Entwicklung auf dem Balkan verfolgt die Türkei als Anrainer und aufgrund der historischen Verbundenheit mit den Minderheiten (Türken, Muslime) mit großem Interesse. Als einer der ersten Staaten weltweit hat die Türkei die Unabhängigkeit Kosovos anerkannt. Dort, wie auch in Bosnien-Herzegowina und in Mazedonien, war bzw. ist die Türkei im Rahmen der NATO mit Truppen präsent. Außerdem hat sie sich in Bosnien-Herzegowina und Kosovo an Missionen im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beteiligt. Sie hat in den 90er Jahren viele Flüchtlinge der Balkankriege aufgenommen.
Die Türkei gehört zu den Initiatoren des Südost-Europäischen Kooperations-Prozesses (SEECP) und beteiligt sich am Stabilitätspakt Südosteuropa. Vor allem bemüht sie sich in jüngster Zeit um den Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen zu den Balkanstaaten.
Auch auf dem Balkan tritt die Türkei als Vermittler für Stabilität und Sicherheit ein, zum Beispiel mit zwei von ihr initiierten, hochrangigen trilateralen Konsultationsprozessen mit Bosnien und Serbien bzw. Kroatien.
Sicherheitspolitik
Nach den Terroranschlägen von 2001 und den Istanbuler Al-Kaida Anschlägen im November 2003 hat Ankara die Rolle der Türkei im internationalen Umfeld neu bewertet. Auch nach außen, insbesondere gegenüber Europa und den USA stellt die Regierung die gewachsene Bedeutung der geostrategischen Lage des Landes heraus, das als einziger NATO-Partner gleichzeitig Mitglied der Organisation Islamischer Staaten ist. Die Türkei ist seit 1952 Mitglied der NATO. Sie sieht im Bündnis wie in den Beziehungen zu den USA die wesentlichen Garantien ihrer Sicherheit. Über die NATO-Bündnispartner hinaus unterhält die Türkei enge sicherheitspolitische Beziehungen zu Pakistan, Aserbaidschan und den zentralasiatischen Turkstaaten, mit denen zahlreiche Ausbildungsprogramme durchgeführt werden.
Hinweis