Interview: „Wir wollen nicht, dass religiöse Extremisten aus der Lage Kapital schlagen“ (Mannheimer Morgen)
Interview mit Außenminister Guido Westerwelle, erschienen im Mannheimer Morgen, 04.02.2011
Herr Außenminister, Präsident Husni Mubarak will abtreten, aber erst im Herbst. Sollte er nicht sofort den Weg freimachen?
Wer das ägyptische Volk regiert, entscheiden allein die Ägypter. Der demokratische Wandel im Land muss jetzt beginnen.
Es kann Ihnen aber doch nicht egal sein, dass Mubarak seine Kavallerie gegen Demonstranten hetzt?
Es ist nicht akzeptabel, wie Gewalt gegen Demonstranten angewendet wurde und wie die Situation dann eskalierte. Das habe ich in mehreren Gesprächen mit der ägyptischen Regierung während der vergangenen Tage zum Ausdruck gebracht, genau wie unsere europäische Partner.
Wenn Deutschland für Demokratie eintritt, muss es dann nicht automatisch auch Position beziehen?
Wir entscheiden nicht, wer in Ägypten regiert. Wir stehen aber an der Seite der Demokratie, der Grundfreiheiten und Bürgerrechte. Weil unsere Basis die demokratischen Werte sind, treten wir für sie auch weltweit ein.
Warum fordern Sie dann nicht, dass Mubarak sofort zurücktritt?
Die Frage, wer den Übergang gestaltet, muss im Dialog in Ägypten entschieden werden. Außerdem: Es würde die Demokraten schwächen, wenn der Eindruck entstünde, sie würden vom Westen gesteuert.
Und die Deutschen drehen nur Däumchen?
Nein, natürlich nicht. Ich habe mit Vizepräsident Suleiman und Außenminister Abu Al-Gheit gesprochen, mit Mohammed El Baradei gesprochen, aber auch mit Amr Mussa, dem Generalsekretär der Arabischen Liga und ehemaligem Außenminister. Mit klaren Botschaften: Wir unterstützen den demokratischen Wandel, der den inneren und äußeren Frieden achtet. Dieser Wandel darf nicht irgendwann beginnen, sondern muss jetzt starten.
Machen Sie sich auch Sorgen um Israels Sicherheit?
Ich kann nachvollziehen, dass die israelische Regierung die Entwicklung im Nahen Osten sorgenvoll betrachtet. Ägypten war stets ein verlässlicher Partner im Friedensprozess.
Finden Sie es noch immer richtig, dass Deutschland jahrzehntelang die größten Despoten im Maghreb und im Nahen Osten gestützt hat?
Die Bundesregierung hat sich eindeutig für Menschenrechte und die bürgerlichen Freiheiten eingesetzt. Es ist aber auch wahr, dass sich Ägypten in den vergangenen Jahren als stabiler Faktor in Nahost erwiesen hat.
Also keine Spur von Selbstkritik?
Wir wollen, dass es in Ägypten zu einer demokratischen Entwicklung kommt. Wir wollen deshalb nicht, dass religiöse Extremisten aus der gegenwärtigen Lage Kapital schlagen und die Macht übernehmen.
Jetzt beziehen Sie ja doch Position und richten über die islamistische Muslimbruderschaft.
Ich bewerte hier nicht einzelne Organisationen, zumal dies ohnehin nur sehr differenziert möglich wäre. Nochmals: Wir wollen eine demokratische Entwicklung – keine, bei der am Ende gewaltbereite Extremisten zum Zuge kommen.
Sollte es in Ägypten tatsächlich freie Wahlen geben, werden die Islamisten wahrscheinlich ein gutes Ergebnis bekommen. Wollen Sie diese dann auch boykottieren wie die Hamas nach ihrem Wahlsieg im Gaza-Streifen?
Was die Hamas betrifft: Wer mit Gewalt und Terror das Existenzrecht Israels gefährdet, kann kein Partner für uns sein.
Ist die Entwicklung, die wir gerade in der arabischen Welt erleben, mit der Revolution von 1989 in Europa zu vergleichen?
Es ist eine historische Zäsur. Der Geist der Freiheit ist aus der Flasche. Wir wissen nicht, wie diese Entwicklung weiter geht. Aber nichts wird mehr so sein wie vor diesen Ereignissen.
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Interview: Walter Serif