Die Toleranz verteidigen – Namensartikel von Staatsminister Werner Hoyer im Kölner Stadt Anzeiger
Die Freiheit des Glaubens und des Gewissens ist Teil unseres Wertekanons – also sollte Deutschland auch für Christen einstehen
erschienen am 12.01.2011
Als Ende Dezember im Plenum des Deutschen Bundestages die Diskussion über Glaubens- und Religionsfreiheit auf die Rechte unterdrückter Christen kam, musste die Regierungskoalition sich heftiger Angriffe der Opposition erwehren. Die Debatte, so einer der Vorwürfe, relativiere das Leid anderer Religionsgruppen und nehme dadurch zu viel Raum ein. Der jüngste Anschlag auf koptische Christen in Ägypten widerlegt diese Haltung drastisch. Er ruft in Erinnerung, dass die mehr als 100 Millionen verfolgten Christen nicht nur die zahlenmäßig größte Gruppe der aufgrund ihrer Religion diskriminierten Personen darstellen, sondern auch, dass die Gewalttätigkeit gegenüber Christen in den letzten Jahren zugenommen hat.
Artikel 1 des Grundgesetzes – die Unantastbarkeit der Würde des Menschen – ist das oberste Gebot unserer Verfassungsordnung. Aus dessen universeller Gültigkeit leiten wir eine Reihe von Grundrechten ab, nicht zuletzt auch die Religionsfreiheit. Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses ist eine fundamentale zivilisatorische Errungenschaft und längst fester Bestandteil unseres Wertekanons. Diese Freiheit musste in der Vergangenheit gegen erbitterte Widerstände erkämpft werden.
Der Widerstand kam auch aus den Reihen der christlichen Kirchen, die ihre Privilegien bedroht und ihren Allgemeingültigkeitsanspruch in Gefahr sahen. Und dennoch haben diese in einem langen Prozess zu verstehen gelernt, dass dieses Prinzip in seiner Universalität nicht nur die eigenen Anhänger dort schützt, wo sie in Gefahr sind, sondern auch Teil eines umfassenden christlichen Menschenbildes ist. Dies mag zunächst paradoxer erscheinen als es tatsächlich ist: Denn kaum eine Kraft hat, neben den Philosophen der Aufklärung, einen größeren Einfluss auf die geistesgeschichtliche Entwicklung der europäischen Konzeption der Menschenwürde gehabt als die christliche Religion selbst.
Im Bewusstsein dieses historischen Erbes haben wir uns hierzulande für ein Leitbild entschieden, das nicht einer bestimmten religiösen Orientierung folgt, sondern dem Toleranzgedanken der Gleichwertigkeit zwischen den unterschiedlichsten religiösen Bekenntnissen.
Nichtsdestotrotz hat unser Modell des republikanischen Rechtsstaats im Gegensatz zu anderen Interpretationen, die zuweilen religionsfeindliche Züge annehmen können, ein grundsätzlich positives Religionsverständnis. Wir wollen, dass die Religionsgemeinschaften aktive Beiträge zum Zusammenhalt der Gesellschaft leisten, unabhängig davon, ob diese muslimisch sind, christlich, oder irgendeines anderen Glaubens. Dies garantiert der Staat am besten, indem er seine Rolle auf den Schutz der Religionsfreiheit beschränkt, ansonsten aber gegenüber den religiösen und weltanschaulichen Belangen seiner Bürger größte Zurückhaltung wahrt.
Diese Grundsätze unseres innerstaatlichen Handelns gelten auch für unsere Außenpolitik. Deshalb ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns für den Schutz unterdrückter religiöser Minderheiten weltweit einsetzen. Wir tun dies zum Beispiel, wenn wir uns gegen die Verfolgung von Bahai im Iran oder die Unterdrückung buddhistischer Mönche in Tibet einsetzen. Natürlich müssen wir aber auch aktiv werden, wenn Christen verfolgt und diskriminiert werden. Dies liegt nicht nur daran, dass das Christentum die weltweit größte religiöse Gruppe stellt, oder etwa daran, dass christliche Minderheiten beispielsweise im Libanon oder in Ägypten nicht nur zur Diversität, sondern in erheblichem Maße auch zur Prosperität ihrer Heimatländer beitragen. Aus unseren gemeinsamen Wurzeln erwächst darüber hinaus eine besondere Verantwortung für Christen auf der ganzen Welt.
Wer, darf man sich durchaus fragen, soll sich für die Rechte der Christen einsetzen, wenn nicht wir selbst? Sei es als Christen oder als Bürger einer durch christliche Einflüsse geprägten Gesellschaft. Wie so oft in Fragen internationaler Politik muss auch hier ein schmaler Grat beschritten werden – zwischen dem engagierten Einfordern unseres Rechtsverständnisses und kontraproduktiver paternalistischer Bevormundung. Und eben diese Balance zu wahren, zwischen dem Schutz unveräußerlicher Rechte von Individuen, der Selbstbestimmtheit souveräner Staaten und unserem berechtigten Interesse an der Unterstützung Gleichgesinnter, ist eine der größten Herausforderungen an die Außenpolitik einer aufgeklärten rechtsstaatlichen Demokratie.