Innenpolitik

Innenpolitik

Stand: Januar 2011

Staatsaufbau

Venezuela ist nach der Verfassung von 1999 ein demokratischer Bundesstaat mit 23 Einzelstaaten und dem Hauptstadtdistrikt (Distrito Capital). Die Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Die Todesstrafe ist abgeschafft. Die Mitwirkung der Bürger am politischen Prozess soll durch Elemente der direkten Demokratie gesichert werden.

Die ausführende Gewalt liegt beim Präsidenten der Republik und seiner Regierung. Der Präsident wird in direkter Wahl in einem Wahlgang auf sechs Jahre gewählt. Seit dem Verfassungsreferendum vom 15. Februar 2009 besteht die unbeschränkte Möglichkeit der Wiederwahl.

Amtsantritt des Präsidenten ist der 15. Januar des auf die Wahlen folgenden Jahres. Die laufende Amtszeit von Präsident Hugo Chávez Frías dauert bis Januar 2013. Nach Ablauf der Hälfte seiner Amtszeit kann ein Präsident per Referendum abberufen werden. Der Präsident ernennt und entlässt den Vizepräsidenten sowie die Minister seines Kabinetts.

Die gesetzgebende Gewalt übt die Nationalversammlung aus, deren Abgeordnete auf fünf Jahre gewählt werden. Regionale und kommunale Selbstverwaltung sind in der Verfassung von 1999 vorgesehen. Die Einzelstaaten verfügen über einen geringen finanziellen Spielraum und sind auf Zuweisungen aus dem gesamtstaatlichen Etat angewiesen. An der Gesetzgebung sind sie seit Abschaffung des Senats und Einführung des Einkammersystems durch die Verfassung von 1999 nicht mehr beteiligt. Der “Consejo Federal de Gobierno”, Beteiligungsgremium für die Einzelstaaten, der bislang lediglich beratende Funktionen hatte, wurde durch ein Gesetz Anfang 2010 aufgewertet und soll eine stärkere Rolle im Gesetzgebungsverfahren spielen.

Das Parteiensystem hat durch den von Präsident Hugo Chávez betriebenen Prozess der innenpolitischen Umgestaltung einen tiefgreifenden Wandel erfahren. Auf der einen Seite steht die Präsident Chávez unterstützende, Anfang 2008 gegründete Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (Partido Socialista Unida de Venezuela – PSUV) mit der selbständig gebliebenen kommunistischen Partei (PCV).

Auf der Oppositionsseite hat sich 2010 die Sammlungsbewegung „Tisch der demokratischen Vereinigung“ (Mesa de Unidad Democratica – MUD) zusammengefunden. Zu ihr gehören ehemalige Koalitionspartner von Chávez wie die links-sozialdemokratisch orientierte Partei „Für die Soziale Demokratie“ (“Por la Democracia Social – Podemos“) und die linksliberale “Humanistische Front” (“Frente Popular Humanista”) ebenso wie die früher wichtigen Parteien “Acción Democratica” (sozialdemokratisch) und COPEI (christlich-sozial), die das Land über Jahrzehnte politisch dominierten, aber seit dem Wahlboykott 2005 bis Januar 2011 nicht im Parlament vertreten waren. Eine wachsende Rolle in der MUD kommt zwei Parteien zu: der konservativen Partei “Primero Justicia“ sowie der sozialdemokratisch orientierten Partei „Un Nuevo Tiempo“. Die sozialistsche Partei „Patria Para Todos“ (PPT) hatte sich 2010 ebenfalls von der PSUV gelöst, war aber zu den Wahlen im September 2010 noch eigenständig angetreten. Mittlerweile hat sie sich als Teil der Opposition erklärt und kooperiert mit der MUD.

Die Rechtsprechung wird vom Obersten Gerichtshof, gleichzeitig Verfassungsgerichtshof, und nachgeordneten Gerichten ausgeübt. Richter werden mit 2/3-Parlamentsmehrheit gewählt. Dies hat seit 2004 den Einfluss der Regierung auf die Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofes erheblich verstärkt. Die venezolanische Verfassung von 1999 stellt neben die drei klassischen Gewalten die “Bürgergewalt (Poder Ciudadano)“ und die “Wahlgewalt (Poder Electoral)“. Die „Bürgergewalt“ ist ein Dreiergremium und soll, orientiert an der skandinavischen Institution des Ombudsmann, als ethisch-moralische Instanz die Funktionsausübung innerhalb der öffentlichen Verwaltung überwachen, d.h. Machtmissbrauch und Korruption bekämpfen. Die “Wahlgewalt” (Consejo Nacional Electoral – CNE) ist ein Fünfergremium, das alle Wahlen politischen Charakters durchzuführen hat. Sowohl Bürgergewalt als auch Wahlgewalt verfügen über eigene nachgeordnete Behörden.

Die Verfassung von 1999 sichert der indigenen Bevölkerung umfassende Rechte zu, und die Regierung Chávez hat eine Reihe von Initiativen zur Verbesserung der Lage der Indigenen ergriffen. Seit 1999 gehört dem Parlamentspräsidium stets ein Vertreter der indigenen Völker an.


Innenpolitik

Eine tiefe Ablehnung der traditionellen Parteien (AD und COPEI), die über Jahre die Macht unter sich aufgeteilt hatten und immer stärker dem Vorwurf der Korruption und Vetternwirtschaft ausgesetzt waren, führte 1998 zur Wahl von Hugo Chávez zum Staatspräsidenten. Dabei konnte er sich neben seiner Kernanhängerschaft in den Armenvierteln auch auf weite Teile der enttäuschten Mittelschicht stützen. Seit seinem Amtsantritt hat Präsident Chávez versucht, die politische Landschaft in Venezuela grundlegend zu verändern. Er setzte 1999 eine neue, “bolivarische” Verfassung und zahlreiche grundlegende Gesetzesänderungen durch. Zu Anfang seiner ersten Amtszeit noch nicht erkennbar ideologisch verortet, wandte er sich in der Folgezeit dem Ziel zu, den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu begründen.

Die venezolanische Gesellschaft ist politisch weithin polarisiert. Am 11. April 2002 kam es bei einer Großdemonstration der Opposition gegen die Regierung zu Gewalttätigkeiten. 19 Menschen wurden getötet, eine Vielzahl verletzt. Die Oberbefehlshaber von Nationalgarde und Heer erklärten daraufhin, dass sie die Befehlsgewalt des Präsidenten nicht mehr anerkennen würden. Der Chefinspekteur der Streitkräfte gab Chávez Rücktritt bekannt. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Fedecámaras, Carmona, erklärte sich zum Übergangspräsidenten, löste Nationalversammlung und Obersten Gerichtshof auf und erklärte, die Verfassung von 1999 nicht anzuerkennen. Während Plünderungen und Unruhen kamen weitere Menschen ums Leben. Letztlich setzte sich der Chávez-treue Flügel innerhalb der Streitkräfte durch, angeführt von General Baduel (der seine Haltung verfassungsrechtlich begründete, sich aber später von Chávez distanzierte und in Folge von Korruptionsvorwürfen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde). Der Präsident konnte seit dem 14. April 2002 seine Amtsgeschäfte erneut ausüben.

Im Dezember 2002 und Januar 2003 erreichte die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition mit dem zwei Monate dauernden Generalstreik einen weiteren Höhepunkt, dessen Ziel – der Rücktritt des Präsidenten – scheiterte. Im Mai 2003 wurde zur Überwindung der Krise zwischen Regierung und Opposition unter internationaler Vermittlung vereinbart, dass ein – in der Verfassung vorgesehener – Volksentscheid über den Verbleib des Präsidenten im Amt durchgeführt werden soll. Nach vielen Verzögerungen fand im Dezember 2003 eine zweite Unterschriftensammlung statt. Die Bekanntgabe des Endergebnisses durch den Nationalen Wahlrat wurde erneut verzögert. Ende Februar 2004 führten Proteste gegen die Verzögerungen zu Straßenschlachten, bei denen es mehrere Tote unter den Demonstranten gab, wobei die Sicherheitskräfte mit großer Härte vorgingen. Erst im Juni 2004 erklärte der Nationale Wahlrat CNE schließlich, dass die für den Volksentscheid notwendigen 20% der Wählerschaft knapp erreicht worden waren. Von 3,4 Mio. gesammelten Unterschriften wurden letztlich nur 2,5 Mio. anerkannt, rund 870.000 Teilnehmer mussten dabei ihre Unterschrift erneut bestätigen oder konnten sie zurückziehen. Die Daten der Befürworter des Volksentscheides wurden im Internet veröffentlicht („Lista Tascon“). Personen, die auf der Liste auftauchen, haben erheblich eingeschränkten Zugang zu staatlichen Leistungen.

Erstmals weltweit fand schließlich am 15. August 2004 ein Abberufungsreferendum gegen einen amtierenden Präsidenten statt. Das Referendum bestätigte Präsident Chávez mit 5,8 Mio. (59%) zu 4 Mio. Stimmen (41%) in seinem Amt, bei einer sehr hohen Wahlbeteiligung von rd. 10 Mio. Venezolanern (73% der zu diesem Zeitpunkt registrierten Wähler). Wahlbeobachter u. a. des Carter-Zentrums fanden keine überzeugenden Belege für den von der Opposition behaupteten Wahlbetrug. Die EU hatte allerdings bereits im Vorfeld von einer Wahlbeobachtung Abstand genommen, nachdem die venezolanische Regierung nicht die dafür üblichen Mindeststandards gewähren wollte. Analysten führten den Erfolg des Präsidenten vor allem auf die von ihm gestarteten Sozial- und Bildungsprogramme, sog. „Missionen“ zurück, welche auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Armenvierteln zielen. Mitentscheidend sei zudem ein groß angelegtes Einbürgerungsprogramm gewesen, von dem ca. 1 Mio. Neubürger, vor allem aus Kolumbien, profitierten.

Die Opposition trat zu den Parlamentswahlen vom 4. Dezember 2005 nicht an, weil sie erneut Unregelmäßigkeiten befürchtete. Daraufhin errangen die Parteien des Regierungslagers alle 167 Mandate, darunter die damalige Präsidentenpartei MVR über 2/3 der Mandate. Die Wahlbeteiligung war mit rd. 25% auch für venezolanische Verhältnisse sehr gering, die internationalen Wahlbeobachter von OAS und EU stellten fest, dass weite Teile der Bevölkerung kein Vertrauen in den Wahlprozess besessen hätten. Die Präsidentschaftswahlen am 3. Dezember 2006 gewann Präsident Chávez mit 63% der Stimmen gegen 37% für den damaligen Gouverneur des Bundesstaates Zulia, Manuel Rosales. Rosales hat im April 2009 in Peru politisches Asyl erhalten, nachdem gegen ihn wegen Korruption eine strafrechtliche Verfolgung eingeleitet wurde.

Im Anschluss an die Präsidentenwahl 2006 rief Präsident Chávez eine neue Etappe seiner „bolivarischen Revolution“ aus. Sie geht einher mit einer starken Konzentration der Macht in den Händen des Präsidenten. Dabei soll ein „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ entwickelt werden, dessen inhaltliche Konturen jedoch unscharf bleiben. Im August 2007 stellte der Präsident eine umfassende Verfassungsreform vor, die das Ziel hatte, den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ ,auch verfassungsrechtlich zu verankern. Die Änderung der Verfassung von 1999 wurde im Referendum vom 2. Dezember 2007 mit knapper Mehrheit abgelehnt. 

Obwohl Präsident Chávez noch in der Wahlnacht das Ergebnis des verlorenen Referendums anerkannt hatte, hat er seitdem – sowohl per Dekret als auch durch die von der Regierungspartei dominierte Nationalversammlung – Gesetze erlassen, die weite Inhalte des Referendums umsetzen.

Bei den Kommunal- und Regionalwahlen am 23. November 2008 erzielten die Kandidaten der PSUV 17 Gouverneursposten, die Opposition 5. Die Opposition war in einigen großen Städten und industriellen Zentren des Landes erfolgreich und erreichte in den bevölkerungsreichsten Staaten gute Ergebnisse. Landesweit erzielte die PSUV mit über 53% die klare Mehrheit der Stimmen. Chávez konterte den Teilerfolg der Opposition mit der Entmachtung des Bürgermeisters von Groß-Caracas, dem eine Staatskommissarin übergeordnet wurde. Den Gouverneuren wurden Kompetenzen und Finanzmittel entzogen. Die Opposition wirft der Regierung vor, das Wahlergebnis zu konterkarieren und einer Zentralisierung der Macht in der Exekutive Vorschub zu leisten. 

Für große Auseinandersetzung und Unruhen sorgte die von der Regierung durchgesetzte Umstrukturierung der Medienlandschaft im Sommer 2009: Zahlreiche private Rundfunksender wurden geschlossen und deren Lizenzen an kommunale Radios vergeben, die weitgehend von chavistischen Gruppierungen dominiert werden.

Am 5. Januar 2011 trat die neue Nationalversammlung mit folgender Sitzverteilung zusammen: Regierungskoalition aus PSUV und PCV 98 Sitze, Oppositonsbündnis MUD (Mesa de Unidad Democratica) 65, PPT 2 Sitze. Für Ende 2012 sind nicht nur die Präsidentschaftswahlen, sondern auch die Wahlen zahlreicher Gouverneurs- und Bürgermeisterposten vorgesehen, so dass sich Venezuela bis dahin in einem Dauerwahlkampf befindet.

Hinweis

Dieser Text stellt eine Basisinformation dar. Er wird regelmäßig aktualisiert. Eine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben kann nicht übernommen werden. 

gesamten Artikel lesen zurück mit ESC